Dunkel wie der Tod
ihm, dass es mir reiche. Ich wollte ihn verlassen. Das war, als er â¦â
Will nickte grimmig. Bevor er etwas sagen konnte, sprach sie jedoch rasch weiter, da sie sein Mitleid nicht hätte ertragen können. âNachdem Duncan verhaftet worden war, weigerte er sich noch immer preiszugeben, wo er den gestohlenen Schmuck versteckt hatte. Deswegen, und natürlich weil er Mr. Ripley beinah getötet hätte, bekam er die Höchststrafe. Leider wird er nur die Zeit nicht absitzen â ich hatte Ihnen ja davon erzählt, dass er wahrscheinlich auf Bewährung entlassen wird.â
âDagegen können Sie doch sicher Einspruch erheben.â
Sie seufzte tief. âSollten Sie irgendwelche brillanten Ideen haben, dann verraten Sie sie mir. Derweilâ, meinte sie und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Brief zu, âbin ich aber erst einmal neugierig darauf, worüber Duncan und Virgil sich während der letzten vier Monate so eifrig ausgetauscht haben.â
âSagte Duncan nicht, dass er Virgil kaum kenne?â, fragte Will.
Sie seufzte abermals. âDuncan sagt viel, wenn der Tag lang ist.â
Aber wie gesagt Virge, du must dir die Klunker schon verdienen, ich geb sie dir nicht so einfach her nur weil du mir gesagt hast, dass sie inner feinen Gegent wohnt und auf ein Kind aufpast. Ich will die StraÃe wo sie lebt und die Nummer von dem Haus. Ich will den Namen von der Familie und von dem Kind und von allen im Haus und wissen wann sie morgends aufsteht und wann sie abends ins Bett geht und was sie isst und trinkt und ob sie sonntags in die Kirche geht und was sie dem verdammten Pfaffen beichtet. Ich will alles wissen.
âOh Gottâ, flüsterte Nell.
Erst als Will ihr seinen Arm um die Schulter legte und sie stützte, wurde ihr bewusst, wie sehr sie zitterte. âAlles in Ordnung?â
Sie nickte zunächst, schüttelte dann aber den Kopf. âNein. Wie entsetzlich! Ich kann einfach nicht ⦠die ganze Zeit ⦠oh, wie furchtbar!â
Will schob die Briefe beiseite. âIch werde sie lesen und Ihnen die Zusammenfassung erzählen. Bis dahin â¦â Er holte einen silbernen Flachmann hervor, schraubte ihn auf und reichte ihn Nell. âBrandy. Ich verordne Ihnen einen tiefen Schluck pro Minute, bis das Zittern abgeklungen ist.â
Zwanzig Minuten später sagte Will: âAlso gut, das Wesentliche in Kürze.â Er saà in einem hell von der frühen Mittagssonne beschienen Rechteck auf dem Boden, die Briefe um sich herum ausgebreitet. âEinige Zeit, bevor Virgils Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, kam Duncan zu Ohren, dass Virgil sich wünschte, genügend Geld zu haben, um dieses Gehöft hier zu erwerben â auch ohne dafür in den Steinbrüchen von Cape Ann schuften zu müssen. Duncan, der wohl schon seit einiger Zeit davon besessen scheint herauszufinden, was aus Ihnen geworden ist, traf daraufhin mit seinem Kumpel Virgil eine Abmachung, von der Sie ja soeben erfahren haben. Virgil spioniert Ihnen nach und erstattet Duncan ausführlich Bericht, und im Gegenzug verrät Duncan ihm, wo er einen Teil der Beute versteckt hat. Doch zu Virgils Verdruss ziert Duncan sich nun, das Versteck preiszugeben.â Er hielt kurz inne, um sich eine Zigarette anzuzünden. âWie geht es Ihnen übrigens?â
âSchon viel besserâ, versicherte ihm Nell, die Hut und Handschuhe abgelegt hatte und nun auch auf den warmen Bodendielen lag, von wo aus sie fasziniert beobachtete, wie die Sonne in den Spinnweben funkelte und glitzerte, die Bridie wohl übersehen haben musste, als sie die Dachsparren abgestaubt hatte.
Will nahm ihr den Flachmann aus der recht erschlafften Hand und schüttelte ihn argwöhnisch, doch er war noch fast voll. âDas geht ja schnell bei Ihnenâ, bemerkte er.
âIch bin nicht betrunken, sondern einfach nur â¦â Nell schüttelte den Kopf. âIch hätte mir so was denken können. Duncan war schon immer â¦â Sie rieb sich das Gesicht. âEgal. Erzählen Sie weiter.â
Will nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und sah Nell an. âDann dürfte Virgil der Mann gewesen sein, der an jenem Baum in der Commonwealth Avenue lehnte und Sie dabei beobachtete, wie Sie nach Ihrer Flucht vor Harry Ihre Kleider in Ordnung brachten â¦â
Nell dachte kurz darüber nach und stöhnte leise. âJa, natürlich.
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