Dunkel wie der Tod
Natürlich.â
âDieses Gefühl, das Sie seitdem hatten ⦠dass jemand Ihnen folgen und Sie beobachten würde â Sie haben sich das nicht eingebildet. Es war tatsächlich Virgil.â
Sie schloss die Augen, schüttelte den Kopf. Neben sich hörte sie Papier rascheln, spürte an dem leichten Schwanken der Bodendielen, dass Will sich bewegte. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie ihn abermals auf der Seite liegen, ausgestreckt neben ihr, die Briefe und den Teller, den er als Aschenbecher benutzte, vor sich.
âAus Virgils Bericht muss Duncan geschlossen haben, dass Sie eine Affäre mit Harry hättenâ, meinte er.
âAls er sagte, ich dürfe âdem Sohnâ nicht trauen, dachte ich, er würde â¦â
âDem Sohn nicht trauen? Davon haben Sie mir nichts erzählt. Was genau hat er gesagt?â
Ich weiÃ, dass er der andere ist, dem du alles erzählt hast, dem du vertraust. Ich weiÃ, dass du in ihn verliebt bist â¦
âEr ⦠mmh, er sagte, ich würde Sie zu kennen glauben ⦠nun ja, ich nahm an, dass er Sie meinte, aber er meinte natürlich Harry.â
âAh jaâ, sagte Will und blies Rauch in die Luft, âSie und Ihre voreiligen Vermutungen.â
âDuncan sagte: âEr ist nicht der, für den du ihn hältst. Du glaubst vielleicht, dass er ein Gentleman wär, nur weil er ein Hewitt ist, aber wenn du wüsstest, wie er wirklich ist und was er so treibt, wenn du nicht bei ihm bist â¦ââ Nell verstummte, zuckte die Schultern.
âKein Wunder, dass Sie glaubten, er spräche von mir.â Wills trockener Ton konnte nicht gänzlich die leichte Spur von Bitterkeit oder Verletztheit oder auch beidem übertönen, die in seinen Worten mitschwang. Er drückte seine Zigarette aus und sah noch einmal die Briefe durch. âDer Grund, weshalb er Sie vor Harry gewarnt hat ⦠ah ja, hier ist es. Dieser hier ist vom 21. Juli, da waren Sie in Falconwood â wovon er natürlich durch Virgil wusste. Da er nun glaubte, Sie würden eine leichtfertige Liaison mit Harry unterhalten, hatte er Virgil seit Mitte Mai auch auf Harry angesetzt. So ist Virgil übrigens erst auf Bridie aufmerksam geworden â Ironie des Schicksals. Allem Anschein nach hatte er sich gleich auf den ersten Blick Hals über Kopf in sie verliebt, sich mit ihr verabredet, und kurze Zeit darauf verbrachten sie dann auch schon jedes Wochenende hier in trauter Zweisamkeit. Allerdings musste Virgil noch seiner Verpflichtung Duncan gegenüber nachkommen, und so berichtete er ihm pflichtschuldigst von Harrys Harem, dessen ungekrönte Königin eben besagte Bridie Sullivan war, die nun auch sein eigenes Herz betört hatte.â
âWas Duncan annehmen lieÃ, Harry würde mich mit Bridie betrügenâ, schloss Nell. âUnd deshalb wollte er mich vor ihm warnen.â
âEr hat sogar versucht, Virgil vor Bridie zu warnenâ, sagte Will und überflog rasch den Brief, den er in der Hand hielt. âHier ist es. âIch hab schon viele von ihrer Sorte gesehen, diese aufgetakelten Schlampen, die jeden für ein Paar billige Ohrringe unter ihren Rock lassen. Sie ist nichts weiter als eine Hure, die nicht mal so ehrlich ist, sich eine Hure zu nennen. Sie benutzt dich, Virge, vielleicht wegen dem Hof, vielleicht für was andres. So eine wie sie kann eben nicht anders. Aber du bist verrückt, wegen so einer rumzuspinnen. Kannst froh sein, wenn sie dir noch keine fiese Krankheit angehängt hat â¦â Und so weiter und so fort.â
Es überraschte Nell keineswegs, dass Will ihr gegenüber Duncans ausfällige Ausdrucksweise wörtlich wiederholte. Wenngleich die tief verinnerlichten Konventionen seines Standes ihn davon abhielten, in ihrer Gegenwart beiläufig zu fluchen, hatte er sich doch nie der Illusion hingegeben, dass derlei Worte sie vor Entsetzen in Ohnmacht fallen lieÃen. Statt deswegen beleidigt zu sein, fand Nell es vielmehr recht erfrischend.
âDas steigert sich so von Brief zu Briefâ, fuhr Will fort. âIm letzten ⦠wo ist er? Ah ja, hier. âDu glaubst vielleicht, wenn du sie dazu kriegst, dass sie ihren Mann zum Teufel schickt und dich heiratet, würde sie aufhören, auf alles zu springen, was Hosen anhat? So läuft das nicht bei solchen wie ihr. Du weiÃt ja nicht mal, wer ihr das Balg gemacht hat, ob es du warst oder
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