Dunkel wie der Tod
Scheine in meiner Tasche, aber wissen Sie, hier in Boston passiert das so oft, dass ich wählerisch sein kann â ich muss es nicht unbedingt annehmen, wenn ich nicht will. Diesen Jungs aus Salem hat aber wahrscheinlich noch nie jemand auch nur annähernd so viel geboten wie Harry Hewitt eben, und wie könnten sie da Nein sagen?â
âSie lehnen Bestechungsgelder also manchmal auch ab?â, fragte sie zweifelnd.
âManche von diesen Taugenichtsenâ, er warf einen vielsagenden Blick auf Harry, âhaben sich das selbst eingebrockt und es nicht anders verdient.â Der Detective schüttelte den Kopf. âZwei junge Leute liegen da drauÃen Gott weià wie lange schon rum, das Mädchen erwürgt und wer weià was noch alles. Aberâ, er hob seine breiten Schultern, âes ist ja nicht mein Fall. Nicht mal mein Zuständigkeitsbereich.â
Fragend deutete er auf seine leere Tasse. âWollen Sie auch einen? Ich trinke das Zeug jeden Abend literweise, um bis zum Ende der Schicht durchzuhalten.â
âNein, danke. Ich hatte gerade erst zwei Tassen Kaffee. Haben Sie denn immer so spät Dienst?â
Er nickte und füllte sich seine Tasse aus einer Kanne nach, die auf einem Stövchen warm gehalten wurde. âImmer von vier bis Mitternacht. Und wenn was ansteht, auch länger. Ich hab oft schon am Schreibtisch gefrühstückt. Tja, ganz unten in der Hackordnung und obendrein noch Ire â wahrscheinlich mache ich bis zum Jüngsten Gericht die Nachtschicht. Und den Wochenenddienst, denn samstags und sonntags darf ich auch arbeiten.â
âAber irgendwann müssen Sie doch mal freibekommen.â
âMontags und dienstags, aber das ist eben nicht dasselbe.â
Die Bürotür flog auf, und Harry kam ohne ein Wort herausstolziert, die Wangen gerötet und mit der Miene eines trotzigen Kindes, das eine Standpauke hat über sich ergehen lassen müssen.
Will stand in der Tür und rieb sich den Nacken, als er seinem Bruder nachschaute. âWaren Sie die ganze Zeit dabei, als mein Bruder verhört wurde?â, fragte er.
Cook nickte. âAber wohlgemerkt nur als Beobachter. Niemanden hat es sonderlich interessiert, was ich zu der Sache zu sagen gehabt hätte.â
âHätten Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen jetzt ein paar Fragen stellte?â
âÃberhaupt nicht.â Cook bat sie beide, wieder in sein Büro zu treten, und deutete auf die beiden Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. âHitchcock!â, rief er.
Ein junger Polizist in Uniform erschien flugs auf der Türschwelle. âDetective?â
Cook reichte ihm die Whiskeyflasche und das Glas. âBringen Sie das wieder dorthin zurück, wo Sie es hergeholt haben. Kann den Geruch von dem Zeug nicht ertragen â nicht, seit ich selbst nichts mehr trinke. Und machen Sie die Tür hinter sich zu.â Als sie allein waren, fragte er Will: âWas möchten Sie denn wissen?â
âHaben die Konstabler ihn tatsächlich verhört, oder war das alles nur eine Farce?â
âNun ja, sie haben mit recht ernsten Absichten begonnen und sogar versucht, ihn einzuschüchtern, aber es waren keine fünf Minuten vergangen, da hat Ihr Bruder erste Angebote gemacht. Und nachdem sie sich erst mal auf einen Preis geeinigt hatten, haben die beiden ihn behandelt wie den englischen Kronprinzen.â
âHaben sie ihn auch nach dem Schal gefragt?â
âGleich als Erstes. Er hat gesagt, dass der kürzlich aus seinem Büro verschwunden sei â er wisse aber nicht genau wann, weil es ihm erst Tage später aufgefallen ist. Meinte, dass Bridie Sullivan ihn bestimmt mal mitgenommen hat, weil sie den immer so schön fand.â
Wie praktisch, dachte Nell.
âSie haben ihn auch danach gefragt, wo er während der letzten Woche überall gewesen istâ, fuhr Cook fort. âAber das bringt ohnehin nicht viel, weil niemand genau sagen kann, wann die Morde geschehen sind. Das warâs dann auch schon â kein nennenswertes Verhör also.â
âDürfen die Ermittlungen denn einfach so eingestellt werden, obwohl der Fall nicht gelöst ist?â, fragte Nell.
âMan hat sich jetzt auf Mord mit nachfolgendem Selbstmord geeinigtâ, sagte Cook. âDie offizielle Version lautet, dass Virgil Hines das Mädchen aus Eifersucht erwürgt und sich dann aus Verzweiflung über seine Tat
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