Dunkel
zumindest hatte er den alten Mann gewarnt. Die Hausverwaltung gestattete nicht, gestattete absolut nicht, daß in den Aufzügen uriniert wurde. Der alte Mann hatte immer geleugnet, der Übeltäter gewesen zu sein, und hatte die Kinder, die in dem Haus herumlärmten bezichtigt, Eigentum zu beschädigen und das Leben der Hausbewohner unerträglich zu machen. Die kleinen Bastarde zerbrachen Fensterscheiben, schmierten meterhohe Graffitti an die Wände und sorgten treppauf wie treppab für einen dauernden Höllenlärm. Die Fahrstühle waren eine besondere Freude für sie, und die allzu regelmäßigen Ausfälle waren auf die Kinder zurückzuführen, die mit den Knöpfen spielten, die Schiebetüren blockierten, die Türen zwischen den Etagen öffneten oder herumhüpften, während die Fahrstühle in Bewegung waren. Bestimmt hatten sie die Fahrstühle verschmutzt — und trotzdem waren sie nicht die Hauptübeltäter bei dieser Missetat. Oh, nein, in dieser Hinsicht hatte der alte Mann eine Menge Antworten. Gott allein wußte, warum ältere Leute ausgerechnet im obersten Geschoß dieses Hauses einquartiert wurden. Wenn die Fahrstühle ausfielen was in dieser Nacht der Fall war — dann waren diese alten Leute hilflos. Ein weiteres Problem - und dies war das entscheidene — die beiden Fahrstühle waren so konstruiert, daß sie sehr langsam fuhren. Wenn man aber alt war und wenn man gerne viel trank und wenn die Blase nicht mehr wie früher so kräftig war, dann konnte eine Fahrt mit dem Fahrstuhl nach oben eine Ewigkeit dauern. Unglücklicherweise hatte der alte Mann seine Blütezeit weit hinter sich und seine Blase war schwach. Andere Mieter hatten sich mehr als einmal darüber beschwert, daß die Lifttüren aufgingen und der alte Knabe in einer Pfütze von Flüssigkeit dastand. Auch die Art, wie er dann seinen Hut zog und ihnen einen freundlichen guten Tag oder Abend wünschte, konnte nicht über den Uringestank hinwegtäuschen, wenn er an ihnen vorbeischwankte. Der Hausmeister hatte ihn bisher dreimal verwarnt und sein protestierendes Leugnen ignoriert; jetzt würde er auch die alte Dame ermahnen. Entweder sie nahm ihn straffer an die Kandare, oder sie flogen ra.us. RAUS! Kein Scherz.
Mit den anderen Mietern fertig zu werden, die sich fortwährend über irgendetwas beklagten — über die Heizung, die Wasserrohre, den Vandalismus, die Miete, die Fahrstühle, die Bettler, den Lärm und ihre Nachbarn — war schon schlimm genug, aber auch noch die Schweinerei aufwischen zu müssen, die ein alter Zausel hinterließ, das war zuviel. Manchmal hatte der Hausmeister davon phantasiert, eine Bombe in eine Ecke des Apartmenthauses zu legen, sie auf halb zwei einzustellen und sich in den Pub weiter unten an der Straße zu begeben. Da würde er dann bei seinem Pint Bitter sitzen, auf den Minutenzeiger seiner Armbanduhr schauen, wie sie auf die Dreißig Minuten-Marke zukroch, in sein Sandwich beißen, das Gebäude durch das Pubfenster betrachten, noch einen Pint bestellen und mit dem Wirt scherzen, während die schicksalhaften Sekunden verstrichen. Dann ein herrliches Bumm, und die Etagen des Hauses würden wie ein Kartenhaus zusammenfallen, ebenso, wie es in Filmen zu sehen war, wenn Industrieschornsteine abgebrochen wurden. All diese Mieter wäre er ein für allemal los, keine Beschwerden, kein Hinterherlaufen mehr. Alle zermalmt, alle tot. Einfach herrlich.
Der Hausmeister war im Lift halb oben gewesen, als die Lichter ausgingen und der Fahrstuhl schwankend zum Halt kam. Er hatte in der Dunkelheit herumgetastet und laut geflucht, bis sein Zeigefinger schließlich den Alarmknopf gefunden hatte. Er hoffte, daß diese dämliche Kuh, seine Frau, das in ihrem Apartment im Erdgeschoß hören würde, aber nach zehn Minuten ständigen Knopfdrückens und Schlagens gegen die Wände des Fahrstuhls kam er zu dem Schluß, daß das Versagen eine andere Ursache als einen mechanischen Fehler im Antriebsmotor haben mußte. Verdammter Stromausfall, sagte er sich.
Es war unheimlich gewesen, da in der Dunkelheit zu hocken, blind und allein. Und doch war es seltsam angenehm gewesen, als wäre man wieder in der Gebärmutter, noch ungeboren, und unberührt. Oder als wäre man tot und hätte als Gefährten nur das Nichts. Bald allerdings stellte er fest, daß er in der Dunkelheit nicht völlig allein war.
Nach einer Weile hatte der Hausmeister die Fahrstuhltür mit Gewalt geöffnet und, mit den Händen tastend, festgestellt, daß er fast auf der
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