Dunkelmond
regneten auf sie herab wie die Asche verbrannter Leichen. Beides, das zähe, dunkelrote Blut und der leicht fettige Ruß verbanden sich zu einem rotschwarzen Schlamm, der an ihr herabrann. Er setzte sich in den feinen Linien fest, die die Haut an den Händen und im Gesicht bildete, tropfte in ihren Kragen und durchtränkte langsam ihre Bluse, den darstan und schließlich die Haare.
Jemand flötete Syths Lied der Toten. Ein Lied, das den Elben galt, und sie, die Dunkelmagierin, nicht hätte berühren dürfen. Doch Sanara trug die Magie Telarion Norandars, des Elbenfürsten, in sich. Ihre Seele war mit der seinen untrennbar verbunden.
Entsetzt presste sich Sanara die Hände auf die Ohren, die so von den rauen und hohen Tönen geplagt wurden, dass die Trommelfelle zu reißen drohten. Doch sie konnte sie nicht aussperren, der blutige Regen fiel weiter auf sie herab, drang in ihre Ohren, durchtränkte ihr Haar und setzte sich in allen Poren fest. Sanara kam es so vor, als würde jeder Tropfen, der auf sie niederging, alles Entsetzen, alle Qual und alles Leid der Welt enthalten.
Sie krümmte sich, als die klebrig-warme Feuchtigkeit, die von den Tönen der Flöte erzeugt wurde, auch in ihre Nase und ihren Mund eindrang. Sie schmeckte salzig wie Tränen, bitter wie Asche und metallisch wie Blut.
Panisch sah sie sich um, doch der grüngeäderte Marmor der Galerie, selbst ihre Gefährten, schienen unangetastet. Der rotschwarze Regen schien sie nicht berühren zu können. Oder existierte dieser Regen nur in ihrer Vorstellung?
Sanara ging in die Knie und unterdrückte einen Schrei. Obwohl ihre Seele in Aufruhr war, war es immer noch unnatürlich ruhig, so ruhig, dass jeder einzelne Ton dieser grausamen Flöte die Stille wie ein Pfeil durchdrang und Leid und Qual nur verstärkte.
Noch immer blies jemand die Flöte, schickte erbarmungslos und unerbittlich Töne in die Luft, die im nächsten Moment in dicken, zähen Tropfen auf sie niederprasselten. Sanara krümmte sich, als die Finger dieser grausamen Melodie die ersten Wurzeln der kühlen Windmagie in ihr herausrissen. Ihre Seelenflamme schien zu leiden, ihre Nahrung zu verlieren, und mit einem Mal wusste sie, dass Harumad recht gehabt hatte.
Sie liebte den, der ihr diese Magie gegeben hatte, und konnte den, der sie ihr nahm, nur hassen. Der Schmerz und die Trauer nahmen überhand, als noch weitere der Wurzeln, die der Wind in ihr geschlagen hatte, mit Gewalt aus ihr herausgerissen wurden und sie sie nicht festhalten konnte.
Sie versuchte wieder, danach zu greifen, doch ihre Finger waren rutschig vom blutigen Schlamm und glitten ab.
Schließlich sank Sanara in sich zusammen und versuchte nicht mehr, sich gegen das Leid und die Verzweiflung zu wehren, die nun auch den letzten Winkel ihrer Seele durchdrangen.
Sie sehnte nur noch das Ende herbei. Den Tod. Denn ein Leben ohne den Gedanken an Telarion Norandar, ohne die Erinnerungen an seine Haarsträhnen in ihrer Hand, seine Lippen auf den ihren und die Berührungen seiner kühlen, trockenen Finger war nichts wert.
Aber Sanara starb nicht. Der blutige Regen fiel weiter, unablässig und leise, und brachte nur Trauer – aber die war schlimmer als der Tod.
Kapitel 14
»Ys und Syth betrachteten ihre Schöpfung und nannten sie Vyranar, die Wunderbare. Beide begannen Vyranar, die
aus ihnen entstanden war, zu lieben und beschlossen, darin zu leben. Als Wohnstatt wählte Ys den Norden, den Gipfel des höchsten Berges im Zendar-Gebirge,
den Berg Seleriad, von dem aus sie das Land überblicken konnte. Syth wählte den Süden und die tiefen Höhlen des Berges Farokant. Die eine die Harmonie,
der andere der stete Wandel, liebten sie einander mehr, als die Worte der Elben und die Musik der Menschen es je werden beschreiben können, und so lenkten
sie die Geschicke der Welt trotz aller Unterschiede gemeinsam.«
Von den Kriegen der Elben und Menschen
Erste Rolle der Schriften des Klosters der Weisen Zwölf
A ls Ronan die Flöte schließlich absetzte, konnte er nur mit Mühe das Schluchzen unterdrücken, dass sich in seiner Kehle aufgebaut hatte.
Es war dunkel unter den Wolken, die langsam nach Südwesten hin abzogen, doch kein Regen war gefallen. Die Luft war unerträglich drückend, nichts rührte sich.
Es war still. Totenstill.
Ronan rang in der schwülen, stickigen Luft nach Atem, ließ die Flöte in den Schoß sinken und legte seine glühende Wange gegen den kalten Marmor der Zinnen. Die Flöte in seiner Hand war aus
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