Dunkelmond
schon seit Stunden kniete. Der kaum eine Elle hohe Schrein war eine der wenigen Zierden seines Zeltes und stand im Osten. Das getriebene Gold, das den Altar zu Ehren des Goldenen Mondes schmückte, hatte die Kälte der nächtlichen Savanne draußen aufgenommen und gab sie dank der Berührung an ihn weiter. Die scharfe Kälte war wie ein Kuss seines Schöpfers, doch sie dämpfte die Scham nicht, die Telarion ob der dunklen Wärme in ihm erfüllte.
Oder war es nur Scham angesichts der Freude, die diese dunkle Wärme in ihm auslöste?
Telarion wusste es nicht.
Und er wusste auch nicht, ob der Vorwurf der Kinder des Siwanon, sein Zwilling habe Dajaram umgebracht, sich erst dank dieser Scham in ihm festzusetzen vermocht hatte.
Das schmerzverzerrte Gesicht des Schmieds tauchte vor seinem inneren Auge auf.
Ich weiß nicht, wer Euren Vater tötete! Ich weiß nur, dass Siwanon völlig richtig sagte, der Tod Dajarams, der wie er den Frieden wollte, könne nur einem genutzt haben. Fragt Euch selbst, ob dieser Nutznießer nicht vielleicht der Mann sein könnte, der jetzt die Krone trägt!
Dann wurde das Bild überlagert. Telarion befand sich wieder in dem nordöstlichen Gemach im kastron der Feste Bathkor. Vor ihm stand Sanara Amadian, die Bluse blutbefleckt und zerrissen. Unter dem darstan quollen dicke Haarsträhnen von der Farbe reifen Korns in ihr zornrotes Gesicht, das von Sommerflecken übersät war. Die bernsteingelben Augen ihres Hauses sprühten Funken.
Ich habe meine Magie nicht gegen Euer Haus gewandt, Fürst, genauso wenig wie mein Vater das einst tat! Was glaubt Ihr, warum Tarind das Massaker im Kloster des Abends anrichtete? Dort waren die, die seine Lügen hätten aufdecken können. Ich sah, dass Siwanon Eurem Bruder die Wahrheit sagte und dieser erst dann und nur deshalb mein Volk und meine Familie tötete!
Sanaras Worte waren so scharf wie die Waffen, die ihr Bruder zu schmieden verstand, und doch bewahrte Telarion ihr Bild einige Herzschläge lang vor seinem inneren Auge und versuchte, die Ungeheuerlichkeit des Gesagten zu begreifen.
Sie hatte nicht gelogen. Sie hatte zumindest geglaubt, die Wahrheit zu sprechen.
Er musste sich fragen, ob es vielleicht auch die Wahrheit war .
Es war elf Winter her, dass Tarind nach Guzar aufgebrochen war, um Dajaram zu rächen. Elben hatten eine weitaus längere Lebensspanne als Menschen. Er selbst und Tarind galten auch mit über fünfzig Wintern als jung; bei Dajarams Tod hatten die Fürsten von Nisan, Mundess und Kantis Tarind die Krone erstnicht geben wollen. Doch Yveth von Kantis hatte sich vor Trauer um ihren Gatten auf eine der eisigen Felseninseln im Norden des Östlichen Meers zurückgezogen, um dort zu sterben. So hatte sich der Rat der Elbenfürsten doch entschieden, dem älteren Sohn des Dajaram die Krone zu überlassen – jedoch unter Auflagen. Erst als Tarinds Zwilling, der geweihte Herr des Lebens, sich bereit erklärt hatte, sein Gelehrtenleben aufzugeben und an der Seite von Dajarams älterem Sohn Heermeister und Herr der Festung Bathkor zu werden, hatten die Fürsten von Kantis und Mundess nachgegeben.
Telarion kam die Zeit, die seit diesen Geschehnissen vergangen war, nicht sehr lang vor. Er erinnerte sich an die Ereignisse, deren Ursprung in dem unfassbaren Schmerz zu finden war, den der Tod Dajarams auf der magischen Ebene in ihm ausgelöst hatte, so genau, als seien sie nur ein paar Tage zuvor geschehen.
Doch glaubte man der Tochter des Siwanon, war auch sie Zeugin des gewaltsamen Todes ihrer Familie geworden. Und damals war sie noch ein Kind gewesen.
Telarion spürte Übelkeit beim Gedanken, ein Kind – egal, ob es nun zum Volk des Akusu oder des Vanar gehörte – könne Zeuge eines solchen Blutbades werden, wie sein Bruder es angerichtet hatte.
Nun, elf Winter später, war Sanara eine junge Frau von wohl etwas über zwanzig Wintern, immer noch ein halbes Kind in seinen Augen, doch in ihrem Volk galt sie als erwachsen und wäre, wenn sie als Adlige weitergelebt hätte, sicher die Herrin eines großen Hauses gewesen, gleichen Ranges mit den Daris, die Ireti Landarias bei Hofe umgaben.
Das Schicksal in Gestalt seines Zwillings hatte ihr ein solches Leben verweigert, sie für die Hälfte ihrer bisherigen Lebenszeit in die Gosse gestoßen und sie, eine Amadian, zur Schankdirne erniedrigt.
Sie hat es als Tochter eines Mörders und Verräters nicht anders verdient! , dachte Telarion unwillkürlich. Doch wie konnte einKind von
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