Dunkelmond
Elfenbein, dennoch schien sie ihm jetzt heiß, klebrig und glitschig, als habe man sie in halb gestocktes Blut getaucht. Der Tod, den er selbst gerufen hatte, hing noch in der Luft, satt und trägeund so präsent, dass Ronan versucht war, ihn mit den Händen fortzuscheuchen wie ein lästiges Insekt.
Er warf keinen Blick neben die Zinne auf die Halbinsel, wusste auch so, dass die Elben unten auf der Landzunge vernichtet waren; dass sie starben; dass die Seen ihrer Seelen austrockneten, die Lebensbäume verdorrten und die Windwirbel zerstoben.
Das Bild vor seinem inneren Auge war das pure Grauen. Es roch faulig, eitrig, metallisch scharf wie Blut auf einer heißen Eisenklinge. Der Gestank umgab Ronan so intensiv, dass er glaubte, ihn auf der Zunge zu schmecken. Er konnte keinen einzigen Ton der Melodie mehr spielen und wünschte sich sehnlichst, Akusu hätte ihm eine andere seiner Gaben geschenkt.
Noch einmal versuchte er, die Trauer darüber, dass seine Magie so viel Leid verursachen konnte, zu ersticken, doch es gelang ihm nicht. Es würde den Toten da draußen nicht helfen.
Im nächsten Moment schlug er die Hände vor die Augen und ließ seiner Traurigkeit freien Lauf, indem er den Schmerz seiner Seele in die Stille hinausschrie.
Zunächst half es ihm nicht. Das Entsetzen wurde eher größer und drang noch heftiger auf ihn ein. Er hatte die Flöte lange gespielt, beinahe zu lange. Die Verzweiflung hatte sich, auch wenn sie auf ihn und jeden anderen Dunkelmagier weniger wirkte als auf die Elben, die er damit verhexte, tief in ihm festgesetzt.
Erschöpft hielt er schließlich inne. Es war, als käme nach einem steilen Anstieg in einer lichtlosen Höhle endlich ein schmaler Lichtpunkt in der Ferne in Sicht. Er setzte sich wieder auf und suchte an dem Marmor, an dem er lehnte, eine kühle Stelle. Erst jetzt spürte er, dass jemand ihn an den Schultern hielt und ihm sanft die Tränen wegwischte.
»Willkommen zurück im Leben, Meister der Töne«, sagte Brannas leise mit seinem tiefen Bass.
Ronan nahm einen Atemzug, dem das Schluchzen immer noch innewohnte, und ergriff das weiche Tuch, das Brannas ihm reichte. Ein Tuch, das Ronan zum Reinigen seiner Instrumentestets am Gürtel trug. »Ich … ich habe gar nicht gemerkt, dass … dass du es dir genommen hast«, murmelte er.
Brannas antwortete nicht sofort. »Ich vergesse immer, dass die Melodien für dich fast so vernichtend sind wie für unsere Feinde«, brummte der große Feuermagier.
Ronan nickte. »Syth …«
Doch wieder drang wildes Schluchzen aus seiner Kehle und brach sich Bahn. Er kauerte sich zusammen und weinte wieder um das Leben, das er vernichtet hatte, als wolle er für jeden eine Totenklage anstimmen. Brannas hielt ihn fest und presste den Musikanten an seine breite Brust. Doch er konnte nichts tun, was ihn getröstet hätte.
Schließlich versiegten die Tränen. Ronan räusperte sich, um die Trauer aus der Kehle zu vertreiben. Doch seine Worte kamen stockend.
»Syth sagte einst dem ersten Flötenspieler, dass er mit dieser Melodie die Elben zerstören könne. Doch wie es dem Geist des Chaos gebührt, verschwieg er dabei, dass das Leben von Elben und Menschen, obwohl sie nicht von gleichen Gaben sind, so doch aus dem gleichen Stoff gemacht wurde.« Ronan schob Brannas sanft von sich und schloss die brennenden Augen. »Der Tod macht vor niemandem Halt und befällt alle, ungeachtet der Gaben, die wir von den Schöpfern erhalten haben.«
Brannas nickte ernst. »Corand, Girith und Ravilas sind bereits unten auf dem Schlachtfeld und suchen nach Überlebenden.«
Ronan schluckte. Er sagte nichts. Was hätte er auch sagen können? Brannas hatte recht. Er allein hatte Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und endlosen Schmerz auf alle Elben in Hörweite regnen lassen. Ihre Qual war die seine, doch das würde sie nicht wieder lebendig machen. Er schwor sich, diese Töne nie wieder zu spielen.
Heilige Ys, hilf mir, das Lied deines Geliebten nie wieder zu spielen. Es muss andere Wege geben. Ich verschreibe jeden Atemzug dir, wenn du mir einen anderen Weg zeigst. Und wenn Vyranar zur B eute des Chaos, der Veränderung und der Zerstörung wird, ich werde dieses Lied nie wieder spielen! Niemals wieder!
Es schenkte Trost, sich den Schwur wieder und wieder zu wiederholen, doch es machte die Toten nicht wieder lebendig. Es half nicht einmal, dass Ronan sich sagte, das Lied beträfe nur diejenigen, die die Dunkle Magie mit der des Vanar vernichten wollten.
Wenn
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