Dunkelmond
es sich in einem der einfachen Stühle bequem gemacht hatte, die den Arbeitstisch umstanden, der von Kartenwerken und Schriftrollen über die Kriegskunst überquoll. Ein Bein hatte sie bequem auf dem Tisch und damit eine der kostbaren Rollen achtlos zerdrückt.
Telarion starrte seinen Bruder an und fragte sich, seit wann er wohl schon hier saß. Tarind Norandar trug eine mit Gold- und Silberborten gesäumte und bestickte Tunika, die neben der schlichten Einrichtung dieses ethandin viel zu prunkvoll und überladen wirkte. Eine Schärpe aus Seidenstoff, die im kargen Licht der Laternen schillerte, war in Höhe der Hüften um das Hemd gebunden. Der kleine Haarknoten an seinem Hinterkopf war mit einem Seidentuch der gleichen Farbe umwunden. Nur die jora , die weite bestickte Jacke, hatte Tarind achtlos über den Stuhl neben sich gelegt, doch auch sie war mit Gold- und Silberfäden durchwirkt.
Es war formelle Kleidung, die nicht zu einem Feldzug passen wollte und die Telarion irritierte, denn sein Bruder suchte ihn selten in solcher auf, wenn er den Zwilling allein wusste.
Der direkte und forschende Blick des Königs ließ wieder die Scham in Telarion aufsteigen, die Scham darüber, dass er seinen Bruder für einen Mörder hielt.
Schließlich ließ er sich ebenfalls auf einem Stuhl nieder.
»Wie lange bist du schon hier?«, brach er schließlich das Schweigen.
Tarind hob die Brauen. »Das sollte ich wohl dich fragen, mein Heermeister. Du bist vor mehr als drei Zehntagen ausgeritten, meine Sklavin zu finden, und stiehlst dich heimlich des Nachts ins Lager zurück. Man könnte glauben, deine Reise sei ein Misserfolg gewesen.«
»Ich kam ins Lager, als ihr bereits Halt machtet. Du weißt selbst, dass das eine Zeit ist, in der du nicht gestört werden willst, bis das Heer weiterzieht«, erwiderte Telarion ruhig und wich dem Blick des Königs nicht aus.
In Tarinds Augen blitzte es zornig auf, als fühle er sich ertappt. Doch dann lachte er plötzlich auf. »Richtig. Ich verberge meine Vorliebe für die Dunkle Magie nicht. Vanar gab jedem Elb, auch dir, die Kraft, sich die Magien des Feuers und der Erde anzueignen, ohne etwas dafür geben zu müssen.« In herausforderndem Ton fügte er nach kurzer Pause hinzu: »Und es kümmert mich nicht, dass du das verachtest, wenn nicht einmal meine Königin es tut.«
Telarions Geist tastete nach der lohgelben Flamme in sich und fragte sich, ob es ihm überhaupt zustand, Tarind für seine Gier nach Dunkler Magie zu verurteilen, wo er sie doch selbst so unwiderruflich in sich trug.
Er betrachtete den Zwilling nachdenklich. Tarind konnte skrupellos sein, nicht nur den Dirnen der Menschen gegenüber. Er setzte seine Interessen durch, ohne zu fragen, wem er damit schadete. Nicht nur Dunkelmagier hatten darunter zu leiden, Telarion hatte auch schon erlebt, dass elbische Diener bei Hof oder einfache Soldaten, die den Unwillen des Königs erregten, sich unversehens in den Verliesen wiederfanden oder das königliche wakun zu spüren bekamen.
Doch immer noch spürte Telarion Widerwillen bei dem Gedanken, dass Tarind auch skrupellos genug für einen Vatermord sein könnte.
Er beruhigte seinen Atem und betrachtete Tarind auf der magischen Ebene. Das Bild eines blauen Teichs schob sich vor die hochgewachsene Gestalt des Königs. Goldener Regen tropfte unablässig in das Wasser, ohne es aufzuwühlen. Er fiel sanft auf die glatte Oberfläche des Wassers, das von innen heraus schimmerte, als würde es von einer geheimnisvollen Lichtquelle erhellt, und Telarion wurde klar, dass sein Bruder sich zuvor mit einer Frau vergnügt hatte, deren Magie aus Feuer bestand.
Das Licht in Tarind war stark genug, um vermuten zu lassen, dass das Feuer in der Dunkelmagierin auf Tage hinaus erloschen war. Es würde einen Heiler brauchen, es wieder zu entfachen. Und doch war das Wasser in Tarind ruhig, nicht aufgewühlt. Das Leid der Dunkelmagierin, der er die Kraft genommen hatte, berührte seine Seele nicht.
Das ist es, was ich verabscheue. Tarind missachtet das Leben. Jedes Leben.
Auch das Dajarams?
Telarion warf erneut einen Blick auf die schimmernden Wasser von Tarinds Seelenteich und die sattgoldenen Regentropfen, die ununterbrochen hineinfielen. Das dunkle Feuer, in dem Dajarams Seele vergangen war, stammte nicht von einem Magier, der über das Wasser und geringfügig auch über das Leben selbst gebot. Tarind fehlten die Voraussetzungen, den Vater auf magische Weise zu töten.
Die Erkenntnis
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