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Dunkelmond

Dunkelmond

Titel: Dunkelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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wenn sie mich finden«, murmelte sie, »ist größer.«
    Ondra schwieg und konzentrierte sich darauf, die Schalen mit Sand auszuscheuern.
    Sanara schluckte. »Was sollte die Wache von mir wollen, Ondra? Ich trage das Zeichen nicht und bin ein einfaches Schankmädchen. Das Gesetz des Heermeisters besagt nur, dass sich die beim Vogt melden müssen, die stark genug sind.«
    »Du bist stark genug. Lury und ich wussten das immer. Sinan hat es uns gesagt, als er uns bat, dich aufzunehmen. Doch nun weiß es auch die Wache.«
    Sanara starrte in ihre Suppenschale. Der Appetit war ihr gründlich vergangen. Sie wusste selbst, dass sie das war, was man in Guzar einen Feuerkopf nannte: ein Feuermagier, dem das Feuerseiner Seele in den Kopf gestiegen war. Ihre Amme, ihr Vater, selbst ihr Lehrer im Kloster hatten mehrfach festgestellt, dass sie jähzornig war, oft auffuhr und dann Dinge sagte oder tat, die ihr hinterher leidtaten.
    Sie dachte an den Augenblick zurück, als der Hauptmann aus Kantis sie zum zweiten Mal von Mehtid fortgerissen hatte. Wie wütend sie gewesen war und wie zornig. Und wie sie die Worte der Macht ausgesprochen hatte, ohne nachzudenken. Und nun trugen ein Wassermagier und vielleicht sogar ein Hauptmann, der über Eis und Kälte gebot, mehr ihres feurigen Zorns in sich, als sie sich je hätte träumen lassen.
    »Iss deine Suppe, solange sie heiß ist«, sagte Ondra in mildem Ton. »Gegen elbische Kälte hilft nur Wärme. Mehtid ist jetzt bei den Ställen. Kannst du ihn bei den nächsten Einkäufen begleiten? Er muss morgen mit einem der Zugpferde zum Hufschmied.«
    »Natürlich.« Sanara hob die Schüssel und trank den Rest der Brühe. Sie stellte die leere Schale neben die Waschschüssel. »Danke, Ondra.«
    Nach einem kurzen Zögern stellte sie noch eine Frage. »Ondra, ich … ich muss noch einmal los, in die Vorstadt. Kommst du für den Rest des Abends ohne mich aus? Ys ist bereits aufgegangen, die Gäste werden sich bald zurückziehen.«
    Ondra sah Sanara merkwürdig an, doch schließlich nickte sie. »Geh nur. Settar und ich werden Lury helfen, und Mehtid hat sich auch genug ausgeruht.«
    Sanara brachte ein dankbares Lächeln zustande. Dann huschte sie durch die Tür in die Nacht hinaus.
    Trotz der Dunkelheit waren die Gassen von Bandothi noch voller Menschen. Die ungewöhnliche Hitze hatte dafür gesorgt, dass bereits im Frühjahr die Gepflogenheiten, die sonst während des Sommers ihre Verbreitung fanden, von den Bewohnern der Stadt ausgelebt wurden. Im Sommer wurde es tagsüber so heiß, dasszur Mittagszeit, wenn sich beide Sonnen ihrem Zenit näherten, allgemeine Ruhe einkehrte. Dafür blieben die Läden, Schänken und Märkte bis tief in die Nacht hinein geöffnet.
    Sanara war es recht. Sie war auf dem Weg in die Vorstadt und würde dafür sicher die Hälfte einer Stunde brauchen, wenn nicht sogar mehr. Bandothi war eine große Stadt, zu einer Zeit erbaut, als die Menschen und Elben noch nicht miteinander verfeindet waren. Drei mächtige Ringe aus hellgrau glänzendem Granit schmiegten sich in einer Kehre des Lithon an einen Ausläufer der nördlichen Loranonberge, die Unter-, die Mittel- und die Oberstadt.
    Über allem, hoch über der Stadt, thronte die Festung Bathkor. Sie wurde von den Herrschern der Elben bewohnt – die Menschen hatten sich nie einen König gewählt. Jetzt residierte dort Tarind mit seiner Königin und seinem Bruder, mit dem er alles teilte – wenn sie sich nicht gerade im Krieg miteinander befanden.
    Ärgerlich schüttelte Sanara den Kopf. Sie wollte nicht über die grausamen Herrscher nachdenken. Sie wich zwei betrunkenen Handwerksgesellen aus, die hinter ihr herpfiffen. Sie war auf dem Weg in die Vorstadt und wählte den östlichen Ausgang der Stadtmauer, der sie am ehesten in das Viertel bringen würde, in das sie kommen wollte.
    Die Wachen am Tor hielten sie nicht auf. Zu viele Leute waren noch unterwegs. Wahrscheinlich würden die Wachen das Tor erst schließen, wenn die Zwillingsmonde den Horizont berührten und nur noch der Silberne Mond am Himmel stand.
    Sanara hatte die Absicht, dann wieder in der Taverne zu sein.
    In der Vorstadt war es dunkler als in der Mittel- und der Unterstadt Bandothis. Es gab keine Fackeln mehr und kaum noch gepflasterte Straßen, je weiter Sanara in das östlichste Viertel der Vorstadt vordrang. Schon bald gab es nur noch wenige Türen, durch die Licht aus den notdürftig mit Lehm verputzten Fachwerkhäusern auf die staubige Straße fiel.

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