Dunkelmond
war, hatte sie nicht einen Moment gesessen.
Ondra hatte recht gehabt, heute waren die Gäste zahlreicherals sonst. Die Schlägerei in der Webergasse war das Stadtgespräch schlechthin und hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Selbst jetzt, nachdem die Zwillingsmonde schon hoch am Himmel standen, kamen noch Gäste, die von Tumulten in den Straßen erzählten. Auch in anderen Bereichen der Stadt hatten es Menschen den Passanten in der Webergasse gleichgetan.
Viel wurde von einer Feuermagierin erzählt, die die Patrouille in die Schranken gewiesen hatte. Dass sich ein Kind des Akusu so zu wehren verstand, sorgte für zwiespältige Meinungen. Ein paar Leute, die schon zu viel getrunken hatten, behaupteten, dass es sich um eine geheime Gesandte des Zaranthen von Solife handele, die helfen sollte, den Widerstand in der Stadt des Königs von Norad zu organisieren.
Lury und Ondra hatten schnell begriffen, dass Sanara und Mehtid enger in die Sache verwickelt waren, als sie zunächst hatten zugeben wollen. Doch bis jetzt hatte Sanara sich den drängenden Fragen der beiden entziehen können.
Als die grob gezimmerte Küchentür hinter ihr zufiel, sperrte sie auch den schlimmsten Lärm aus der Schankstube aus. Für einen Moment genoss Sanara die ungewohnte Ruhe. In der Küche war es düster, nur das Herdfeuer brannte noch vor sich hin. Ondra war nicht hier, wahrscheinlich richtete sie für die besseren Gäste die Nachtlager her. Müde starrte Sanara in die Dampfschwaden, die aus dem Kessel mit dem Rest der Gemüsesuppe aufstiegen, sich kräuselten und schließlich verschwanden.
Sie stand auf, öffnete die Tür zum Hof und atmete die Nachtluft ein, die hereinströmte und nur wenig kühler war als bei Tag. Über dem Nachbarhaus waren der Goldene und der Dunkle Mond zu sehen. Wie immer standen die Zwillinge, die sie waren, dicht beisammen. Der Dunkle Mond stand ein wenig unter dem Goldenen und war nur an den winzigen roten Flecken zu erkennen, die wie heruntergebrannte Feuer glühten. Im Gegensatz zu dem Goldenen Mond, Vanar, und dem Silbernen, Ys, dessen Schein hinter dem Eingangstor zu den Stallungen der Taverne nur zuerahnen war, konnte man die Scheibe Akusus bei Nacht am besten an diesen Feuern erkennen: den Seelen der Verstorbenen, die zu Akusu hatten gehen dürfen.
Wie immer, wenn sie zum Dunklen Mond aufblickte, fühlte Sanara sich gestärkt, so als stünde sie in besonderer Verbindung zu seinen Feuern.
Für einen Moment fand ihre Seele Ruhe. Der Duft des köchelnden Gemüses, die Nachtluft, der Anblick ihres Schöpfers, das gedämpfte Lachen und Rufen aus der Schankstube… all das vereinigte sich in ihr zu einem wunderbar vertrauten Gefühl.
Hier bin ich zu Hause.
Sie war dankbar, ein solches Heim zu haben, denn so war es nicht immer gewesen. Zu lange hatte sie auf der Straße leben müssen, von der Hand in den Mund, immer ein Messer am Körper, immer auf der Suche nach einem Schlafplatz, ohne Vertrauen und immer in Angst vor einer Patrouille.
Hier war das nicht so. In Lurys Taverne hatte man sie aufgenommen, obwohl sie nichts weiter gewesen war als ein Mädchen in zerrissenen Lumpen. Man hatte ihr eine Schlafstelle in der Nähe des Herdes zugewiesen, und – was fast noch wichtiger war – der Wirt und seine Frau vertrauten ihr.
Für andere war dies nur eine Taverne von vielen. Aber für Sanara bedeutete es viel, viel mehr: Es war ihr Unterschlupf – auch wenn er sich in der Hauptstadt befand, wo der König der Elben residierte.
Sanara wandte den Kopf. Die Taverne befand sich im mittleren Ring der Stadt. Über den Zinnen und Dächern der eng zusammenstehenden Gebäude war der Stadtaufbau zu erkennen. Hinter dem Hof der Taverne lag die Mauer, die die Oberstadt abgrenzte, wo die meisten Adelsfamilien, die auch am Hof der Könige von Norad verkehrten, ihren Sitz hatten. Einer der westlichsten Türme der Festung, die noch über der inneren Mauer der Oberstadt lag, war hinter der Dachterrasse der Taverne auszumachen.
Sanara spürte auf einmal wieder die feuchte Kälte in sich, dieder Hauptmann und der Soldat in ihr hinterlassen hatten. Die ständige Bewegung und die Hitze im Schankraum hatten sie fast vergessen lassen, was heute Nachmittag passiert war.
Plötzlich spürte Sanara, wie sich eine Hand auf ihren Rücken legte. »Träumst du wieder?«
Sie wandte sich schuldbewusst um. »Ondra! Ich bin schon unterwegs.«
Die Tavernenwirtin tätschelte Sanara den Rücken. »Nein. Ich muss dir danken, dass du
Weitere Kostenlose Bücher