Dunkelmond
Amboss. »Der Stahl ist beinahe kalt, also wirst du gehen, sobald du fertig bist.« Er hob ein golden glitzerndes Band, wie Sinan selbst eines trug, und legte es auf den Tisch, auf dem Sinans Werkzeug lag. »Der König besteht darauf, dass diese Frau ein Sklavenhalsband trägt, wenn er sie heute Abend erneut verhört. Also muss es in der nächsten Stunde geschehen, damit ihre Magie gedämpft ist, wenn er nach dem abendlichen Mahl zu ihr geht.«
Ein Schreiber kam heran, und der Vogt wandte sich zum Gehen. Doch er drehte sich noch einmal um. »Ich weiß noch nicht, ob man dir vertrauen kann. Aber ich warne dich: Ich werde deine Arbeit kontrollieren. Ist sie nicht zufriedenstellend erledigt, werde ich das dem Heermeister melden. Ich bin gleich zurück, um dich zu ihr zu bringen.«
Sinan neigte den Kopf zum Zeichen, dass er verstanden hatte.
Als Bertalan ihm den Rücken zukehrte, zwang er sich zur Ruhe und ging zu dem Tisch, auf den der Vogt das Band gelegt hatte. Er nahm eines der Tücher, mit denen er Öl und Ruß von seinen Werkstücken putzte, und nahm das hauchdünne Band damit auf. Auf dem schmutzigen, dunklen Tuch glänzte es umso schöner.
Er musste schlucken. Wie konnte er auch nur daran denken, es seiner Schwester anzulegen? Das war nicht recht.
Doch er musste sie sehen. Sie wurde unablässig von Tarind und seinem Bruder verhört und konnte die Stärke, die der Dolch einem menschlichen Träger verlieh, gut gebrauchen. Und auch, wenn seine Schwester nie geglaubt hatte, dass ihr gemeinsamer Vater ein Verräter an den Kindern des Akusu war, so ging Sinan doch davon aus, dass ihr Hass auf Tarind und seinen Bruder so stark war wie sein eigener.
»Was ist nun? Ich habe nicht viel Zeit. Und sagtest du nicht, dir gehe es ebenso?«, rief der Vogt ihm zu.
Sinan setzte einen finsteren Blick auf und nickte nur.
Dann folgte er dem Vogt.
Das Gemach, in das Bertalan ihn brachte, war anders als erwartet.
Es war ein Raum, von den Erbauern des kastrons für die Elben gemacht, selbst am Tag düster und so weit im Nordosten der Festung gelegen, dass nicht einmal früh am Morgen Sonnenstrahlen hineinfielen. Er war karg eingerichtet und doch reicher, als Sinan es je für einen Gefangenen erlebt hatte. Das machte ihn misstrauisch. Er hatte erwartet, sie im Kerker zu finden, nicht in Gemächern, wie sie einem – wenn auch ungeliebten – Gast des Königs zustanden.
Doch Bertalan ging ihm voraus, als sei es selbstverständlich, dass eine Gefangene in solcher Umgebung untergebracht war. Sinan fragte sich, warum ausgerechnet seine Schwester diese Sonderbehandlung erfuhr. Doch er stellte die Frage nicht laut. Einerseits wollte er sich nicht verraten. Andererseits zog sie eine andere nach sich, deren Antwort er scheute; die, ob der Hass seiner Schwester auf die Norandar-Brüder wirklich so groß war, wie er seinen Gefährten erzählt hatte.
Verstohlen sah er sich um, während der Vogt den Raum durchquerte und auf das Bett zuging, das hier stand. Es war mit Fell und Decke ausgestattet, und jemand, wahrscheinlich die Gefangene – Sanara! –, lag darin und musste von Bertalan geweckt werden. Ein Kamin befand sich in einer festen Wand zwischen zwei Fenstern aus Maßwerk. Sogar eine einzelne Flamme brannte darin; eine Flamme des Vanar, die Elben stärkte und Menschen schwächte.
Doch damit war die Einrichtung noch nicht vollständig. Zwischen der Tür und dem nördlicheren der beiden Fenster stand ein Tisch mit einem Stuhl davor und einer Schüssel voll Brei darauf, den man offenbar aus Kräutern und Blättern hergestellt hatte, dazu ein ramponierter Krug mit Wasser.
Wer aus dem Fenster daneben blickte, sah zumeist nur die Felswand, die unter dem Fenster gut hundert Klafter in die Tiefe reichte, bis zu den Mauern der Oberstadt.
Die Bemalung der blaugeäderten Wände konnte man nun, da die Weiße Sonne sich langsam dem Horizont näherte, kaum erkennen. Gestalten, die zusätzlich zur Farbe leicht erhaben gearbeitet waren, schienen im düsteren Licht der blaugrünen Flamme im Kamin lebendig zu werden. Bewegungen, die Sinan nur aus dem Augenwinkel wahrnahm. Dass es Szenen waren, die aus der Geschichte der Elben erzählten, tat ein Übriges, um ihm einen Schauer über den Rücken zu jagen.
Sinan fröstelte. Es war kalt in dem Gemach, die Nischen, die nach Süden und Westen hin neben dem Bett in die Wand gehauen waren, lagen so sehr im Dunkel, dass man darin nichts erkennen konnte. Sinan glaubte, darin Statuen und Gemälde von
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