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Dunkelmond

Dunkelmond

Titel: Dunkelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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Menschen oder den Schöpfergeistern zu sehen. Doch jedes Mal, wenn er glaubte, ihre Form deuten zu können, zerfaserten sie wieder, und er musste von Neuem beginnen.
    Das hier war bei aller scheinbaren Bequemlichkeit kein Ort für Menschen.
    »Mendari!«, rief Bertalan und rüttelte die Gestalt wach, die unter dem Fell lag. Nur zögernd richtete sie sich auf und hatte zunächst keinen Blick für Sinan übrig.
    Er musste sich zusammenreißen, um nicht auf das Bett zuzustürzen. Denn die Frau, die sich dort mühsam erhob, war tatsächlich Sanara.
    Sanara. Er erkannte seine Schwester sofort wieder, obwohl er sie seit über zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie hatte immer noch die etwas zu breite Nase, den hübsch und voll geschwungenen Mund, wenn auch ihre Wangen blass und eingefallen wirkten. Wie bei ihm, war auch ihre Haut mit den Sonnenflecken der Amadians gezeichnet, und die bernsteinfarbenen Augen waren ebenfalls gleich.
    Und doch brach es ihm das Herz, sie so wiederzusehen. Sie hatte ihn jetzt bemerkt und starrte ihn an, als würde sie ihn nicht kennen. Ihre Haut schien feucht, und in ihren Augen lag nicht jenes überschäumende feurige Temperament, das er von klein auf an ihr geliebt hatte, sondern schimmerten Furcht und Verzweiflung.
    Sie hatte Angst. Eine Menschenseele, die man zu viel Wasser und Kälte ausgesetzt hatte.
    »Mendari Amadian«, sagte Bertalan und schaute auf Sanara, die kaum auf ihn achtete und nur Augen für Sinan zu haben schien.
    Sinan erschauerte, als er seinen Namen hörte. Und ihren.
    Man wusste, wer sie war! Hatte sie es ihnen gesagt? Es war die respektvolle Anrede, die man eigentlich nur hochrangigen Frauen zukommen ließ, ein Rang, der einer Tochter des Siwanon Amadian gebührte.
    Und doch erschrak Sinan zutiefst, dass sie sie nicht von sich wies, sondern, ohne zu protestieren, hinnahm – denn ein Schankmädchen so anzusprechen, war nicht angemessen. Es war, als würde sie von sich selbst glauben, eine Fürstin zu sein.
    »Mendari Amadian, dieser Schmied ist gekommen, um Euch das Sklavenband anzulegen, so, wie der König es befohlen hat«, erklärte Bertalan und wies auf Sinan, der in der Mitte des Zimmers stand und sich nicht rührte.
    Sie wandte ihren Blick dem Vogt zu. »Was ist, wenn ich es nicht tragen will?«
    Bertalan runzelte die Stirn und verbeugte sich knapp. »Mendari, wie man mir sagte, stimmtet Ihr zu, die Kraft Eures Hauses dem Bruder des Königs zu übergeben. Dies kann nur geschehen, wenn Ihr das Band tragt.«
    Sie antwortete nicht.
    … stimmtet Ihr zu, die Kraft Eures Hauses dem Bruder des Königs zu übergeben.
    Das dort konnte nicht seine Schwester sein. Er wartete darauf, dass sie Bertalan widersprach. Niemals hätte Sanara zugelassen, dass man so etwas über sie sagte. Sie hätte sich gewehrt, geschrien, wäre aufgesprungen, hätte getobt, den Vogt mit dem Feuer ihres Zorns verbrannt.
    Doch nichts von alledem geschah.
    Ihre Reaktion bestand nur darin, dass sie unruhig über dieSchulter schaute, als fürchte sie, beobachtet zu werden. Sinan folgte ihrem Blick, konnte allerdings nichts erkennen. Nur die Schatten der Gemälde, die im Halbdunkel und im Schattenwurf der ruhig brennenden Flamme des Vanar wie lebendig wirkten.
    Es sah aus, als schämte sie sich vor ihm.
    Für Sinan brach eine zusammen, und er wusste nicht, woher er die Kraft nehmen sollte, stehen zu bleiben und seine Schwester zu betrachten.
    »Nun, Schmied, tu, was man dir aufgetragen hat!«, forderte Bertalan ihn auf. »Der König wird nach Einbruch der Dunkelheit mit seinem Bruder kommen. Er sagte, dass es ihm eine Ehre sei, nun eine Nachfahrin des ersten Menschen in seinen Diensten stehen zu haben.«
    Sinan hatte das Gefühl, seine Glieder seien taub geworden und sein Blut zäher als sonst.
    Seine Schwester hatte ihn verraten. Ihn, ihr Haus und ihr Volk. Wie der Vater, den sie all die Jahre in Schutz genommen hatte. Er fand keine Worte für seine Gefühle.
    Schließlich sprach sie endlich, doch sie redete zu ihm, nicht zu Bertalan, der Sinan nun ungeduldig ein Zeichen gab, sich zu beeilen. »Verzeiht mir«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Ich … ich hatte geschlafen.« Wieder sah sie erst furchtsam in die Nische, als wäre dort jemand, und dann auf Bertalan.
    »Ihr seid also der Schmied, der mir das Halsband anlegen soll?« Ihre Stimme zitterte.
    Sinan starrte sie an.
    »O ja, Mendari Amadian«, sagte er. Seine Stimme klang bitter. »Das ist der Auftrag, mit dem der Vogt mich

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