Dunkelziffer
entlang. Sie näherte sich der nächsten Ecke.
Sie drückte den Kopf gegen die raue Holzwand. Ihr Haar blieb an Splittern hängen. Und dann äugte sie um die Ecke.
Als sie den Kopf zurückzog, ordnete sie die Eindrücke schnell. Ein großer, grobschlächtiger Mann, der eine Axt über den Kopf erhoben hatte. Und zwei andere mit einer Art Handwaffen, wie zwei grobe Stemmeisen nebeneinander.
Richtige Folterwerkzeuge.
Jetzt durfte kein Fehler passieren. Ein einziger falscher Schritt, eine einzige kleine Nachlässigkeit, und sie konnte sich ihr Ende ausmalen.
Stemmeisen ins Gesicht.
Das Adrenalin pumpte durch ihren Körper. Sie fühlte es wieder. Sie stand vor Geirs gespanntem, rot flammendem Körper.
Sie warf sich um die Ecke und brüllte: »Hands in the air. This is the Swedish Police!«
Der Mann mit der Axt war gerade dabei zu werfen. Die Axt verließ seine Hand wie in Zeitlupe. Lena folgte ihrem Flug durch die Luft und dachte Millionen Gedanken, alle wortlos. Dann traf die Axt mit einem dumpfen Schlag auf einen Baumstumpf, wie wenn man auf eine Trommel mit lose gespanntem Trommelfell schlägt.
Die Axt saß.
Die Männer mit den Folterwerkzeugen standen wie versteinert da.
»Drop your weapons!«, brüllte Lena und fragte sich, wo Gunnar war.
Es waren fünf Männer. Keiner der beiden mit den Folterwerkzeugen machte die geringsten Anstalten, sie fallen zu lassen. Einer von ihnen hob sein Stemmeisen sogar in die Luft. Als wäre er im Begriff, damit nach ihr zu werfen. Als sollte das Doppelstemmeisen im nächsten Augenblick ihren Körper treffen. Sie drehte die Pistole zu ihm hin und richtete sie direkt auf seinen Körper. Er hielt seine furchtbare Waffe immer noch erhoben. Sie drückte den Zeigefinger fester gegen den Abzug.
Ja, sie würde ihn erschießen. Nein, sie würde nicht von diesem Ding durchbohrt werden.
Der Zeigefinger balancierte auf dem Druckpunkt.
»Stopp!«, ertönte ein mächtiges Gebrüll im Hintergrund. »Nicht schießen, Lena!«
Und dann tauchte Gunnar hinter den Männern auf. Sie drehten sich zu ihm um. Alle Gesichter wandten sich in seine Richtung. Wenn sie jetzt schießen wollte, musste sie den Mann in den Rücken schießen.
Sie schaute Gunnar Nyberg an. Sie sah, wie er die Waffe senkte. Sie sah ihn auf Teller und Besteck zeigen, die im verwahrlosten Garten verstreut lagen. Sie sah ihn auf Haufen von Baumaterial zeigen, auf drei Zementmischer und schweres Werkzeug. Und sie sah ihn die Hand zum Waldrand ausstrecken, wo die Grundmauern eines nahezu herrschaftlichen Gebäudes aufragten.
Er trat auf den Mann mit dem erhobenen Folterwerkzeug zu und streckte die Hand aus. Der Mann reichte ihm das Werkzeug, ohne zu zögern.
Lena Lindberg hielt noch immer die Pistole im Anschlag und den Finger am Druckpunkt des Abzugs.
Gunnar Nyberg winkte ihr mit dem Folterinstrument zu und rief: »Nimm die Pistole weg, Lena. Es sind Kuhfüße.«
»Was?«, krächzte Lena und sah Sara Svenhagen neben Gunnar auftauchen.
»Es sind Kuhfüße, mit denen man Nägel zieht«, sagte Sara. »Nimm jetzt die Pistole weg.«
Im Hintergrund waren Polizeisirenen zu hören.
Lena Lindberg ließ die Waffe sinken und merkte, dass sie weinte.
Sie saßen wieder im Wagen. Gunnar Nyberg fuhr. Lena Lindberg saß auf dem Rücksitz und fühlte sich erledigt.
»Mittagspause auf dem Schwarzbau«, sagte Sara Svenhagen. »Da kann man sich ein wenig mit Axtwerfen vergnügen. Und lachen und herumbrüllen.«
»Man wagt sich kaum vorzustellen, wessen Luxusvilla sie da bauen«, sagte Gunnar Nyberg. »Möglicherweise sollte man auf einen lokalen Politiker tippen.«
Eine Weile war es still im Wagen. Sie bogen wieder auf die Reichsstraße 90 ein. Lena Lindberg blickte auf den umliegenden Wald. Er war in ein eigenartiges Licht getaucht. Das Licht der Frühsommersonne wirkte kalt, wie es in Strahlen zwischen die dicken Baumstämme fiel. Eine Sonne, die nicht zu wärmen vermochte, die aber sehr gut dazu geeignet war, Dinge deutlich werden zu lassen. Jeder Stamm, jeder Ast, ja, jede Tannennadel schien ihr mit großer Klarheit entgegenzukommen. Als wollte der Wald etwas. Sein Rauschen, sein Licht wollte etwas. Sie begriff nur nicht, was.
Aber der Wald verlangte nach ihrer Aufmerksamkeit.
»Das ist anscheinend ein nahezu industrielles Gewerbe«, sagte Sara. »Der Chef dieser kleinen Gruppe war ja ziemlich gesprächig. Es handelt sich um insgesamt vier Arbeitsteams. Und eine von vier Baustellen, die mittels Schwarzarbeit betrieben werden.
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