Dunkle Beruehrung
nieder, zog einen Handschuh aus und berührte den Boden. Wo die Leichenteile gelegen hatten, fühlte die Erde sich falsch an, aber er konnte nicht genau sagen, inwiefern. Er musterte die Gegend ringsum, ehe er sich wieder erhob. »Gabriel Seran ist noch in Europa und spürt dort verschwundene Kyn auf, oder?«
»So heißt es, Mylord«, erwiderte Devon.
»Mist. Wenn jemand diesem Lawson auf die Spur kommen könnte, dann er.« Lucans Handy klingelte und er sah aufs Display, bevor er den Anruf annahm. »Was gibt’s, Alex?«
»Dir auch ein freundliches Hallo, großer Meister«, gab sie zurück. »Kendrick sagte, du bist jagen, aber das hier kann nicht bis morgen warten. Ich habe die Gewebeproben analysiert, die er mir vom letzten Opfer geschickt hat. Die gute Nachricht ist: Wir können den Champagner köpfen – Bradford Lawson ist kein Darkyn.«
Feiern würde er später. »Was kannst du mir sonst noch sagen?«
»Das Gewebe des Opfers ist mit einem höchst wirksamen Nervengift durchtränkt.«
»Womit?«
»Mit einem körpereigenen Gift, das für praktisch alle Lebewesen tödlich ist. Ich kann es nicht klar bestimmen, aber chemisch ähnelt es dem Gift von Fluginsekten.«
Lucan ließ den Arm sinken, betrachtete sein Handy und setzte es wieder ans Ohr. »Alex, obwohl ich mir recht sicher bin, dass in deinem kleinen Finger mehr Wissen steckt als in meinem gesamten Hirn, kann ich dir doch versichern, dass dieser Mann nicht von einer Biene oder Wespe getötet wurde.«
»Vielleicht waren es ja ein paar Tausend Wespen«, gab sie zu bedenken. »Wer oder was dieser Mörder auch ist – er kann das Gift wahrscheinlich in großen Mengen herstellen. Vermutlich setzt er es ein wie wir unsere Begabungen, kann damit also alles betäuben oder töten, was er beißt oder berührt.«
Lucan musterte die Männer ringsum. »Schadet dieses Gift auch uns?«
»Zum Glück nicht. Ich habe es an einigen Kyn-Blutproben getestet, und unser körpereigenes Abwehrsystem hat kurzen Prozess damit gemacht. Aber Lucan – damit sind wir die einzigen Lebewesen, die immun dagegen sind.«
»Gut und schön, aber wir können keine Witterung aufnehmen, und es sind keine weiteren Leichen aufgetaucht.«
»Wie auch, falls er dazu übergegangen ist, seine Opfer zu essen?« Sie ächzte. »Die Gewebeproben haben so gestunken, dass ich nichts sonst im Labor riechen konnte, nicht mal Michael. Bei euch ist es vermutlich hundertmal schlimmer. Ihr müsst vom Tatort weg.« Sie zögerte. »Hat Samantha das Blut des Opfers zu lesen versucht?«
»Nein. Was Lawson dem ersten Opfer antat, hat sie zusammenklappen lassen.« Er sah auf den blutgetränkten Boden. »Ich lasse nicht zu, dass sie erfährt, was hier geschah.«
»Verstehe.« Der Ton ihrer Stimme verriet ihm, dass dem auch wirklich so war. »Ruf mich an, falls du noch etwas brauchst.«
Die Beklemmung in seinem Bauch löste sich ein wenig. »Danke, Mylady.«
Lucan schaltete das Handy aus und atmete tief ein. In seinem langen Leben hatte er Hunderte Mörder gejagt, doch egal, wie verrückt sie gewesen waren: Keiner hatte je so gestunken.
»Mylord?«, fragte Devon.
»Lady Alexandra hat ermittelt, dass dieser Mörder nicht zu den Kyn gehört«, sagte er zu seinen Männern. »Und ein Mensch ist er auch nicht.«
»Ein Gestaltwandler vielleicht?«, vermutete ein Jäger. »Es gibt Lebewesen, die sich von Toten nähren. Wenn er ihr Blut benutzt hat, um …«
»Sie schwört, dass es keiner von uns ist. Und ob es sich um einen Gestaltwandler handelt oder nicht – kein Kyn kann Fleisch essen.« Lucan schritt das markierte Gelände ab und atmete dabei intensiv ein. Wie zuvor führte keine Geruchsspur vom Tatort weg, doch je weiter er sich vom Verwesungsgestank der Leichenteile entfernte, desto besser ließ sich Luft holen. Und dann nahm er eine weitere, ganz schwache Witterung auf – einen Geruch nach Schweiß und Chemikalien, der von anderswo ausging.
Er fand die Taschenlampe in einem Haufen Unkraut und hob sie auf. Die Batterien waren leer, aber kaum hatte er das Gerät in der Hand, wurde der saure, unangenehme Geruch stärker.
»Ich denke, er hatte das Ding in der Hand«, sagte Lucan zu Devon, als der Fährtenleser zu ihm trat, und wies auf zwei dunkle Flecken am Griff. »Blut.« Er roch daran. »Nicht vergiftet wie das des Toten.«
»Gib mal her«, sagte eine vertraute Stimme.
Lucan blickte hoch und sah seine
Sygkenis
von der Straße her nahen. Er gab Devon die Taschenlampe und schritt Samantha entgegen.
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