Dunkle Beruehrung
»Angela, versuchen Sie, im amerikanischen Sterberegister einen Eintrag zu Ellen Ann Farley zu finden, geboren am neunzehnten Februar.«
»In welchem Jahr, Ms Bellamy?«
Sie öffnete die Akte und blickte kurz auf das von Ellen angegebene Geburtsjahr. Um sich des Sterberegistereintrags eines anderen zu bedienen, müsste Ellen jemanden auswählen, der vor 1936 geboren war, denn danach bekam jeder Amerikaner eine Sozialversicherungsnummer. Und das Geburtsjahr musste leicht zu manipulieren sein. Eine 1 ließ sich bequem in eine 4 verwandeln – oder in eine 7. »Versuchen Sie es mit 1914.«
»Moment.« Sekunden später schnappte Angela nach Luft. »Treffer. Heiliger Bimbam. Ellen Ann Farley, geboren 1914, gestorben 1916. Begraben auf dem Friedhof Mount Pleasant im Bezirk Albany, New York.«
»Gut.« Jessa schaltete die Freisprechanlage ein, um im Zimmer auf und ab gehen zu können und das letzte Zittern loszuwerden, das sie dem Aufenthalt im
Zwielicht
verdankte. »Rufen Sie das Amt für Bevölkerungsstatistik in New York an und lassen Sie sich die Geburtsurkunde der Ellen Ann Farley faxen, mit der wir heute zu tun hatten. Wenn die Ziffern übereinstimmen, machen wir mit der Sozialversicherungsnummer weiter.«
»Ja, Ma’am.« Zögernd setzte Angela hinzu: »Verstehen Sie jetzt, was ich meine? Sie täuschen sich einfach nie in den Leuten, Ms Bellamy.«
»Nein.« Jessa sah auf den Strauß weißer Rosen auf dem Couchtisch und berührte eine von ihnen. »Diesmal nicht.«
»Bloß dazustehen und ans Glas zu hauchen, macht die Scheibe nicht sauber, Adele«, sagte Maribeth Boden und wischte den letzten Schmutzstreifen von ihrem Fenster.
Adele Watkins winkte nur ab.
»Nun stell dich nicht an.« Maribeth ging ihrer Freundin helfen und musterte die verstaubte Innenseite der Scheibe. »Wir müssen noch drei Büros putzen, ehe wir –« Sie unterbrach sich und schluckte. »Gute Güte.«
»Mhm«, brummte Adele.
Der Mann stand im Schatten des Torbogens gegenüber, und obwohl Maribeth bei ihren Runden durch die Bürogebäude, die sie täglich putzte, viele Männer sah, erinnerte sie sich nicht, je einen gesehen zu haben, der so beschaffen war.
Für einen Weißen war er zu dunkel, für einen Schwarzen zu hell. Sie hätte ihn für einen Latino oder Indianer gehalten, wären seine Haare nicht dunkelblond, seine Augen nicht hell gewesen. Am ehesten dachte sie bei seiner Haut an die gebrannten Mandeln ihrer Mutter, wie sie heiß und glatt auf Wachspapier in der Küche abkühlten.
Unter der schönen Haut spannten sich kräftige Muskeln, wie sie sie bei einem Weißen nie gesehen hatte, nicht mal im Fitnessstudio um die Ecke. Und als er sich bewegte, schienen diese Muskeln zu fließen.
»Ob er die Jacke wieder anzieht, was meinst du?«, murmelte Adele.
Das weiße, ärmellose Shirt klebte ihm wie Körperfarbe an Brust und Rumpf und zeigte Maribeth deutlich, dass alles, was es bedeckte, so herrlich war wie das, was es sehen ließ. »So schlecht meint Gott es hoffentlich nicht mit mir.«
Adele schnappte nach Luft, als der Mann den Kopf zu ihrem Fenster wandte. »Er weiß, dass wir ihn beobachten.«
»Tut er nicht«, erwiderte Maribeth tadelnd. »Das Glas ist außen verspiegelt. Er betrachtet nur sich selbst.« Doch damit hörte er gleich wieder auf und musterte erneut die Straße. »Ob er hier arbeitet?«
»Wenn ja, sind wir blind.« Adele drückte ihre dunkle Hand an das schmutzige Fenster. »Verdammt, Mari, ich fresse meinen Mopp, wenn das nicht der hübscheste Mann ist, den ich je gesehen habe.«
Maribeth dachte an ihren Mann Darnell, der nach einer langen Nacht auf der Straße noch im Bett lag. »Ich glaube, ich gehe heute Mittag zum Essen nach Hause.«
Adele lachte auf. »Ich habe mir gerade überlegt, meine Kaffeepause hinten im Taxi meines Mannes zu machen.«
»Morgen, die Damen.« Carter Burleigh, einer der jungen Anwälte, die auf der Etage arbeiteten, näherte sich von hinten. »Haben Sie beide sich schon –« Er verstummte mit offener Kinnlade.
Adele warf ihm einen raschen Blick zu. »Ist das Ihr Freund, Mr Burleigh?«
»So gut meint Gott es leider nicht mit mir, Adele.« Carter quetschte sich zwischen die beiden, um besser sehen zu können. »Donnerwetter.«
»Amen«, sagte Maribeth seufzend.
Draußen kam der Mann, der den Namen Gaven Matthias angenommen hatte, zu dem Schluss, Misstrauen zu erregen, wenn er noch länger so herumstand. Also verließ er den Schatten und querte die Straße. Dabei hörte er die
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