Dunkle Beruehrung
um Ihr Geschäft zu schließen. Ihre Konten werden abgeräumt, Ihre Kreditkarten annulliert. Ihre Kredite werden gekündigt, und die Bank schnappt sich Ihre Wohnung.«
Wovon er da redete, war alles, wofür sie gearbeitet hatte und was ihr wichtig war. Jessa hätte ihn am liebsten geschlagen. »Das dürfen die nicht.«
»Es hat schon begonnen.« Er wies den Gang entlang. »Kommen Sie – ich zeige es Ihnen.«
Rowan schaltete den Monitor, der den Tunnel überwachte, aus, als sie Matthias mit Jessa Bellamy ins Sicherheitszentrum kommen sah. »Bis jetzt keine Probleme«, sagte sie zu Drew am Telefon. »Er hat das Prinzesschen bereits dazu gebracht, ihm wie ein Groupie zu folgen.«
»Das Prinzesschen?«
»Der Chef findet, sie sieht aus wie eine Königin.« Das nagte noch immer in mancher Hinsicht an ihr. »Ich schätze, die beiden sind einige Stunden beschäftigt, in denen er ihr die Unterlagen zeigt und sie noch eine ›Warum-ich?‹-Krise durchmacht. Magst du herkommen und ein paar Bier trinken?«
Drew lachte leise. »Klar. Gleich nachdem ich gekündigt und mein Haus in Brand gesteckt habe.«
Sie senkte ihre Stimme um eine Oktave ins Sinnliche. »Da wir so lange telefoniert haben, uns aber nie begegnet sind, möchtest du bestimmt wissen, wie ich aussehe. Und hör mal, Baby: Ich bin noch besser, als ich klinge.«
»Aha.« Er wirkte unbeeindruckt. »Es ist wohl eher so, dass du
mich
begutachten willst.«
»Am Telefon klingst du ganz passabel«, gab sie zu. »Ich stelle mir vor, du bist mindestens eins neunzig groß, blond, hundert Kilo schwer und hast früher gesurft.«
Er verschluckte sich an dem, was er trank. »Denk dir lieber einen dürren, rothaarigen, blassen Computerfreak von eins siebzig«, sagte er, nachdem er sich ausgehustet hatte.
»Mist.« Sie lachte. »Da bin ich ja einen Kopf größer.«
»Siehst du? Wir bleiben besser Telefonfreunde«, seufzte er. »Mit meinem heiklen Ego käme ich nicht damit klar, der echten Rowan zu begegnen.«
Ihr Lächeln verblasste. »Herzchen, das schafft niemand.«
Nach dem Telefonat holte Rowan das Tablett aus der Bibliothek. Das Prinzesschen hatte keinen Krümel angerührt, und so nahm sie den kalt gewordenen Grillkäse und aß ihn auf dem Weg in die Küche. Dort machte sie die Suppe wieder heiß, trank sie schlückchenweise aus einem Becher und bereitete dabei das Abendessen zu. Matthias war es egal, doch sie brachte es nie übers Herz, tadelloses Essen wegzuwerfen.
Vor allem kein Sandwich.
Rowan wusste, was Hunger war; sie hatte fast drei Jahre lang auf der Straße gelebt. Damals hatte sie sich an Kälte, Nässe, Dreck und Dunkelheit gewöhnt. In Parks, Seitenstraßen und Durchgängen hatte sie Orte zum Verstecken und Ausruhen gefunden. Mit der Zeit hatte sie gelernt, sich aus ein paar Kisten oder einem Karton einen Unterschlupf zu bauen. Im Winter hatte sie entdeckt, welche leer stehenden Gebäude die wärmsten und sichersten waren und wie man sich in einem muffigen, alten Schrank verbarrikadierte, um herrliche acht Stunden lang ununterbrochen schlafen zu können.
Den Hunger aber hatte sie gefürchtet. Dieser grinsende, totenköpfige Mistkerl hatte einen Narren an ihr gefressen aufgrund ihres verkorksten Stoffwechsels, der sie immer mager bleiben ließ, und seit sie ihren letzten Pflegeeltern weggelaufen war, hatte er sie jeden Tag verfolgt. Auch wenn sie den Magen mit einem Almosen oder einer Kirchenspeisung beruhigte, wartete er, beobachtete sie heimlich und wusste, dass er schon bald wieder Gelegenheit hätte, seine stumpfen, grabsteingleichen Zähne in ihren Leib zu schlagen.
Durch das Leben auf der Straße entdeckte Rowan, dass sie viel Widerwärtiges tun konnte – sich zum Beispiel zwei Wochen lang nicht waschen, Kleidung tragen, die kaum mehr als ein Bündel Lumpen war, oder eine Ratte mit bloßer Hand verjagen. In diesen Jahren des Kampfs ums Überleben war sie klug, zäh und stark geworden. Doch ihre Besessenheit, was Essen anging, hatte sie nie abschütteln können. Wenn sie nicht um Kleingeld bettelte oder vor der Suppenküche Schlange stand, suchte sie Hot-Dog-Stände, Pizzerien und Hamburger-Läden heim, um die herrlichen Düfte dort zu atmen. Über einen Lebensmittelmarkt zu streifen, war für sie wie ein Bummel bei Tiffany für Holly Golightly. Sie konnte nicht mal an einem Cola- oder Kaugummi-Automaten vorbeigehen, ohne ins Ausgabefach zu gucken.
An schlechten Tagen, an denen sie sich nicht zu zügeln vermochte, nahm sie die U-Bahn nach
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