Dunkle Beruehrung
Dem Aussehen nach handelte es sich wohl um Notausgänge, die Jessa sich bei ihren Erkundungen merkte und in einen nur in ihrem Kopf vorhandenen Plan aller Gänge eintrug, bis sie die eine Tür gefunden hatte, von der sie sicher war, sie verberge den Tunnel zu jener Luke, die an die Oberfläche und in die Freiheit führte.
Die Entdeckungen, die sie tagsüber machte, ließen sie ruhig und wachsam sein, doch kaum schlief sie abends ein, schien ihre Vorsicht sich zu verflüchtigen.
Seit der ersten Nacht träumte Jessa lebhaft und fand sich stets mit Matthias an einem vertrauten Ort wieder: in ihrer Wohnung, ihrem Büro, ihrem Lieblingsrestaurant. Einmal sah sie sich im Pool ihrer Wohnanlage Bahnen ziehen, und Matthias schwamm immer auf gleicher Höhe neben ihr.
In diesen Träumen verwirrte seine Gegenwart sie nie, im Gegenteil – sie verhielt sich, als hätte sie ihn in ihre Träume eingeladen. Während des Pooltraums glitten sie synchron vom einen Ende des Beckens zum anderen, und als sie argwöhnte, er schwimme absichtlich langsam, stieß sie sich bei der letzten Wende mit aller Kraft ab und lieferte sich ein wütendes Rennen mit ihm.
Sie kamen gleichzeitig an, doch statt an den Beckenrand zu schlagen, umarmte er sie. »Du schummelst.«
»Ich hab gewonnen.« Sie schlang die Arme um seinen Nacken. »Wie hast du so gut schwimmen gelernt?«
»Als Junge bin ich vom Pferd in einen Fluss gefallen und wollte nicht ertrinken.« Er schritt behutsam durchs Wasser und schob sie in eine Ecke. »Du bist wie ein Fisch.«
Sie grinste. »Sag lieber was zu meinen Schwimmkünsten.«
»Du bist ganz glatt und glänzend, wenn du nass bist.« Er stellte sich breitbeinig hin und zog sie noch näher an sich. »Und du bewegst dich wie ein Fluss. Wie Regen.«
Jessa spürte seine Hände an der Taille und fasste seine breiten Schultern. »Warum träume ich immer wieder so von dir? Als wärst du stets bei mir?«
»Vielleicht ist ein Teil von mir das ja.« Er sah ihr in die Augen. »Ich möchte dich küssen.«
Schon oft hatte er ihr gesagt, dass er sie begehrte, und doch hatte er sie immer nur gestreichelt oder umarmt und ihrem Herzen wie ihrem Körper süße Qualen bereitet.
»Das alles ist nur ein Traum«, flüsterte sie. »Du kannst tun, was immer du magst.«
»Ich werde warten«, er legte seine Stirn an ihre, »bis du mich auch begehrst, wenn du wach bist.«
»Warte nicht.« Jessa schloss die Augen. »Bitte nicht.«
Und dann erwachte sie, und Rowan stand neben ihr, sah aber weder ärgerlich noch ungehalten drein.
»Prinzesschen«, sagte sie und zupfte Jessa am Ärmel. »Komm, ist doch bloß ein Traum.«
Verwirrt, aus der Intimität mit Matthias gerissen zu sein, stieß Jessa sie blindlings weg, traf Rowans in Jeans gehüllte Hüfte und zog die Hand zurück. »Tut mir leid.« Sie wusste, dass Rowan keine Berührungen mochte. Vermutlich lag das an etwas anderem als an Jessas Begabung.
»Nicht so schlimm.« Aufgewühlt wich Rowan zurück. »Wir träumen schließlich alle mal schlecht.« Ehe Jessa antworten konnte, war sie aus dem Zimmer geeilt.
Was ist dir widerfahren?,
überlegte Jessa und sah ihr nach. Dann vergrub sie ihr Gesicht in den Händen.
Und was widerfährt mir?
Jessas erste echte Fluchtmöglichkeit bot sich nach einer Woche. Nach dem Frühstück wusch sie ab und wollte dann wie jeden Morgen unter die Dusche gehen, kehrte aber noch einmal in die Küche zurück, um Rowan um Gesichtscreme zu bitten. Als sie Matthias und Rowan durch die offene Tür miteinander reden hörte, blieb sie außer Sichtweite stehen.
»Steig morgen hoch und hol die nötigen Vorräte«, sagte Matthias gerade. »Ich bleibe mit ihr hier. Wir müssen sie inzwischen nicht mehr ständig beobachten. Diese Woche hat sie jede Nacht in ihrem Zimmer verbracht.«
»Ja, wir sind jetzt alle richtig gute Freunde, nicht?« Rowan klang angewidert. »Ist dir mal in den Sinn gekommen, dass sie nur in ihrem Zimmer geblieben ist, damit wir sie nachts nicht mehr beobachten? Und genau das haben wir getan – hat also toll funktioniert.«
»Jessa konnte das nicht wissen.«
»Gut, vielleicht weiß sie nichts davon«, erwiderte das Mädchen, »aber sie wird es merken, wenn sie sich das erste Mal in tiefer Nacht durch die Gänge stiehlt. Sie will, dass du ihr traust und dich auf sie verlässt, und sie wird dir so lange schöntun, bis sie ihr Ziel erreicht hat. Verdammt, Matt, ich mag sie auch, aber vergiss nicht, mit wem du es zu tun hast. Diese Frau verdient ihren
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