Dunkle Beruehrung
Lebensunterhalt damit, Leute zu denunzieren.«
»Wir brauchen Jessas Begabung, um die Wahrheit zu erkennen«, erklärte er. »Solange wir sie nicht überzeugen, für uns zu arbeiten, ihr Wissen zu teilen und uns zu helfen, die anderen zu finden, wird es uns nicht gelingen, die Kyndred früher aufzuspüren als GenHance.«
Rowan stöhnte entnervt. »Du lebst in einer Traumwelt, Chef. Das Mädchen wird uns nie auch nur irgendetwas verraten.«
»Dann lass mich träumen. Mir gefällt’s.« Er durchquerte die Küche und öffnete etwas. »Hier ist Geld. Geh in aller Frühe, bevor sie aufwacht. Und besuch deinen Freund William, wenn du schon mal unterwegs bist.«
Um nicht beim Lauschen ertappt zu werden, zog Jessa sich lautlos ins Bad zurück, duschte und überlegte, was zu tun war.
Rowan würde durch die Luke hochsteigen, die Jessa noch immer nicht gefunden hatte, und da sie diese Luke für den einzigen Weg nach draußen hielt, musste sie dem Mädchen am nächsten Morgen heimlich folgen. Normalerweise stand Rowan um sechs auf – wenn sie besonders früh gehen sollte, dann wohl um fünf. Jessa müsste also noch früher aufstehen, am besten schon um vier, und einen Beobachtungspunkt in der Nähe von Rowans Zimmer beziehen, von dem aus sie ihr folgen konnte. Da Matthias sie nicht mehr kontrollierte, würde sie bei einiger Vorsicht vielleicht sogar sehen, wie sich der Notausgang öffnen ließ, und könnte Rowan womöglich an die Erdoberfläche nachsteigen.
Der einzige Nachteil war, dass sie die Bibliothek noch nicht hatte durchsuchen können, den Ort also, an dem Matthias – wie sie als gesichert annahm – seine Aufzeichnungen über die Kyndred verwahrte. Das müsste sie demnach heute tun, um morgen reinen Gewissens verschwinden zu können. Dazu aber musste sie einen Vorwand finden, um mindestens eine Stunde allein in der Bibliothek zu verbringen.
Das Duschen erinnerte sie an den Schwimmbadtraum, und sie vergegenwärtigte sich jede Sekunde davon. Jessa verstand nicht, warum sie andauernd träumte, mit Matthias zusammen zu sein, doch langsam begann ihr das unter die Haut zu gehen. Irgendwie war sie allmählich besessen von ihm – und das war ihr nie so deutlich aufgefallen wie nun, da sie sich zwang, an etwas anderes zu denken, und dabei merkte, dass das Wasser längst eiskalt geworden war.
Sie trocknete sich ab, zog sich an, machte sich auf die Suche nach Matthias und fand ihn im Fitnessraum, wo er mit den runden Steinplatten trainierte, die sie am ersten Abend ihrer Gefangenschaft gesehen hatte. Wie damals hob er die schweren Scheiben auch diesmal weiter, während er mit ihr sprach.
»Sie waren lange im Bad«, sagte er, tarierte zwei der schwersten Steine auf den Handflächen aus und bewegte die Arme erst vor, dann zur Seite. »Duschen Sie lieber kalt als heiß?«
»Nein, ich war nur etwas in Gedanken«, log sie. Auf keinen Fall würde sie ihm von dem Traum erzählen, niemals. Also konzentrierte sie sich auf den Vorwand, den sie sich hatte einfallen lassen. »Ich möchte offen für alles sein und das, was mich hier umgibt, verstehen. Darum würde ich gern Ihre Bücher über die dark Kyn durchsehen.«
»Sie beherrschen kein Latein«, erinnerte er sie.
Sie bemäntelte ihre Bestürzung mit einem reuigen Lächeln. »Stimmt, aber Sie sagten doch, einige Bücher seien in anderen Sprachen verfasst. Ich bin in Europa zur Schule gegangen und kann Französisch, Deutsch und Spanisch lesen.«
Er legte die Steine ab, richtete sich auf und wandte sich ihr zu. »Sie sagten aber auch, Sie glauben nicht an die Existenz von Vampiren.«
»So ist es. Aber ich würde die Bücher gern auf Hinweise darauf durchsehen, was diese Leute wirklich waren.« Seine Miene wirkte zweifelnd, und sie setzte hinzu: »Ich weiß, diese Bücher bedeuten Ihnen viel. Ich gehe pfleglich mit ihnen um, versprochen.«
Er musterte ihr Gesicht. »Na gut. Wir treffen uns in einer Stunde in der Bibliothek.«
Sie warf einen Blick auf die Steine. »Sie stemmen diese Dinger eine ganze Stunde lang? Kein Wunder, dass Sie so …« Verlegen verstummte sie.
»… dass ich so muskulös bin«, beendete er ihren Satz und legte die Hand an die Brust. »Das ist gut für Körper und Herz.« Er hob den kleinsten Stein auf und reichte ihn ihr. »Versuchen Sie’s.«
»Nein, Gewichte habe ich nie gestemmt, um keinen Muskelfaserriss zu bekommen. Ich halte mich lieber mit Schwimmen fit.« Jessa ging Richtung Tür, um ihre Verlegenheit zu verbergen. »Wir sehen uns in der
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