Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
Verdammt noch mal – in Teilen , dachte er immer wieder. Was davon ist noch nicht erwiesen? War es eine irrtümliche These, die nicht nachvollzogen werden konnte, oder war es mehr? Vielleicht viel mehr? Jayata war eine gescheite Frau, sie würde ihm doch nicht die Kuriositäten eines enttäuschten Dilettanten präsentieren. Er dachte über den restlichen Verlauf des vergangenen Abends nach. Da war Professor Hobatere, der Jayata überreden wollte, die Manuskripte der Royal Society zu überlassen. Sie hatte sie höflich abblitzen lassen. Warum? Die Royal Society war die allererste Wahl für eine Veröffentlichung. Andere Gäste diskutierten, warum damals Roberts Mitgliedschaft im südafrikanischen Kimberley Club abgelehnt worden war. Wegen seines Engagements für die Schwarzen, weil er ein Deutscher war oder vielleicht, weil er synthetische Diamanten machen konnte? Lange vor 1955?
*****
Jayata saß auf dem Sofa, mit dem Rücken zur Treppe, der breiten Glasfront zugewandt. Alles war genauso wie vorgestern Abend, als er ihr zum ersten Mal begegnet war. Alles, bis auf einen großen Tisch, auf dem sich eine Anzahl vergilbter Schreibhefte und altmodischer Dokumentenmappen, zusammengebunden mit schwarzen Leinenbändern, stapelte.
„Guten Morgen Ms. Humphreys. Ich habe Sie doch nicht warten lassen, oder?”
„Guten Morgen Tom.” Sie wandte sich um und bedeutete ihm, sich neben sie zu setzen.
„Nein, ich hatte einiges vorzubereiten.” Der Stock deutete auf den Tisch mit den Dokumenten. „Und bitte, Tom, nennen Sie mich beim Vornamen. Ich brauche diese Förmlichkeiten nicht. Sie werden mir viele Fragen stellen und um sie richtig zu beantworten, muss ich Ihnen Dinge aus meinem Leben mit Robert erzählen, die außer mir niemand weiß und nach Ihnen auch niemand mehr erfahren soll.”
„Und auch bestimmt nicht der Herr von der Royal Society?”
„Die Royal Society hinzuzuziehen wäre wirklich der Gipfel des Zynismus. Vor die Wahl gestellt, würde ich alle Papiere auf diesem Tisch lieber verbrennen. Das hat nichts mit Hobatere zu tun. Die Gründe dafür gehen viel weiter zurück. Aber ich sollte von vorn beginnen, in Berlin, der Stadt, in der auch du geboren bist.”
Kapitel 2
Berliner Katalysatoren
Seit ihrer Ankunft in Berlin vor drei Monaten war Jayata, abgesehen von einigen Ausflügen in die Stadt, in einer muffigen Wannseevilla kaserniert. Ihre einzige Gesellschaft waren das Personal und eine dürre Hauslehrerin für Deutsch. Ihr Vater hatte das Haus samt Personal aus der Konkursmasse eines obskuren Pleitiers gemietet, dem die Spekulation mit Reparationspapieren zum Verhängnis geworden war und der sich, nach dem Zusammenbruch seiner Finanzkonstruktionen, in einem Anfall preußischer Korrektheit im Jagdzimmer die Kugel gegeben hatte. Das Haus strotzte vom Keller bis zum Dachboden von einem archaischen Jagdkult. Wohin das Auge auch fiel, starrten einem Elche, Hirsche, Eber und Dachse entgegen. Wände und Treppenaufgänge waren überwuchert von Geweihen in allen Größen, Formen und Verzweigungen. Bärenfelle lagen als Stolperfallen vor Kaminen und durchhängenden Ehebetten mit protestantischer Matratzenteilung und feuchtschweren Federbetten. Es gab kaum ein Möbelstück, das nicht auf Löwentatzen ruhte. Und über dem Kamin, in einem monumentalen Ölschinken, starrte Richard Wagner, komplett mit Samtbarett, Tristanpartitur und Hund, durch gelbliche Netzgardinen auf den neblig wabernden Wannsee.
Harry, ihr Vater, wollte von ihren Renovierungsvorschlägen nichts wissen. Sie wollten schließlich nicht in Deutschland bleiben; man war hier, um Geschäfte zu machen. Jayatas Wunsch, einige Zeit in Paris zu verbringen, hielt er für gefährlichen Firlefanz. Das Kind sollte in seine Fußstapfen treten und nicht unter Anleitung eines hergelaufenen Literaten oder Malers im Sündenpfuhl Paris versinken. Harry war ein Mann von Prinzipien und einem fest geprägten Weltbild. Dass sich das preußisch korrekte Berlin auch einen weltstädtischen Sündenpfuhl gönnte, verwarf er als zersetzende Propaganda unappetitlicher gesellschaftlicher Kreise.
Mochte es Harrys Erziehungskonzept auch an pädagogischem Feingefühl mangeln, so war es ihm doch gelungen, Jayata nicht zu einer tragenden Säule von Nachmittagstees und Wohltätigkeitsbasaren zu erziehen. Teils aus gesundem Menschenverstand, teils aus Mangel an einem männlichen Erben für sein Imperium, war er ein überzeugter Verfechter der weiblichen
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