Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
Seine Stimme war jetzt bitter. „Ich wünschte, die Naturwissenschaften könnten mehr für mich sein. Aber ich musste nach dem Krieg sofort Geld verdienen. Meine Familie hatte ihr gesamtes Vermögen verloren. Ich konnte mir ein Studium einfach nicht leisten. Alles, was mir geblieben ist, sind meine Bücher und ein Dahinstümpern nach Feierabend als dilettierender Autodidakt.” Nichts war mehr übrig von dem Hochgefühl, mit dem er den Vortrag verlassen hatte. Sie hatte ihn mit ihrer unschuldigen Frage zurück geholt in eine Wirklichkeit, die er hasste, und die er für ein paar Stunden verdrängt hatte. Er sah, dass ihr sein Gefühlsausbruch unangenehm war. „Ich sollte Sie nicht mit meinem Gejammer belasten. Es gibt Tausende wie mich, denen der Krieg einen Strich durch ihre Rechnung gemacht hat. Verglichen mit vielen anderen geht es mir wunderbar. Es ist wirklich nichts Besonderes in diesem Land. Es war nur, … na ja, … der Vortrag von Professor Bridgman … es ist, als ob man von diesem verlogenen, chaotischen Babylon in eine unzweideutige Welt kommt, in der allein der Verstand regiert. Wo Gesetze herrschen, die nicht ignoriert, verdreht oder wegdiskutiert werden können. Verzeihen Sie, ich wollte Ihnen den Abend nicht verderben.” Er lächelte sie resigniert an und fischte nervös nach der letzten Zigarette in dem verknüllten Päckchen.
Die Tragik seines verlorenen Lebenstraums fügte den starken Emotionen, die sie für den schönen Deutschen empfand, noch eine weitere Komponente hinzu: Das Mitgefühl. Fruchtbarer Humus für so manche große Liebe.
„Aber warum sollte es denn keine zweite Chance für Sie geben? Halb Amerika hat sein Glück nicht im ersten Anlauf, sondern erst beim zweiten oder dritten gemacht.” Sie hatte sich vorgebeugt und ihre Hand auf die seine gelegt, die sich wie eine Schraubzwinge um das unschuldige Zigarettenpäckchen gelegt hatte.
„Amerika! Amerika!” Sein Kopf fuhr in die Höhe, und das glatte Haar fiel ihm in die Stirn. Seine Hand fuhr zurück. Sie versteckte die ihre hastig unter dem Tisch.
„Jayata, Sie haben ja nicht die blasseste Ahnung, was das hier in Deutschland für eine eingerostete Gesellschaft ist. Lassen Sie sich nicht täuschen von all dieser Freizügigkeit, all diesen gesellschaftlichen Subkulturen und politischen Revolutionären, die Sie hier sehen. Alles eine hauchdünne Eierschale, die in grellen Berliner Farben bemalt ist. Sie brauchen nur ein ganz klein wenig daran zu kratzen, und sie finden das verknöcherte akademische Bürgertum aus der Kaiserzeit. Keine politische oder wirtschaftliche Karriere kann in Deutschland einen Selfmade-Man, ein amerikanischer Ausdruck, für den wir hier nicht einmal eine Übersetzung haben – auch nur annähernd auf die Stufe eines promovierten oder – Gnade Gott – habilitierten Akademikers heben.” Sein kurzes Lachen sollte verächtlich sein, es klang aber nur verletzt.
„Deutsche Akademiker sind fast durch die Bank völlig unpolitisch. Sie verachten die herrschende Klasse zutiefst, gleichzeitig beneiden sie sie. Das gilt für Politiker genauso, wie für das Großkapital. Gegen beide Schichten schotten sie sich geschickt ab, indem sie vorgeben, sie vollkommen zu ignorieren. Die meisten verfügen über ein halbwegs komfortables Vermögen, das fast immer ererbt ist. Das lässt sie den relativ kleinen Verdienst in ihren wissenschaftlichen Berufen verkraften. Zusammen mit ihren akademischen Meriten verleiht ihnen das eine gesellschaftliche Stellung. Sie machen aus der Not eine Tugend, und der Mangel wird hingebungsvoll als vornehme Bescheidenheit zelebriert. Das liefert ihnen das Alibi für ihren Mangel an Geschmack und Lebensart. Ihr Lebensweg verläuft nach einem festen Fahrplan, es sei denn, das Land stürzt in einen Krieg. Und dann gibt es erst recht keine zweite Chance!” Jetzt war er kaum noch von den Disputanten im Nichtschwimmerbecken zu unterscheiden.
„Nun, dann sollten Sie vielleicht froh sein, dass Sie nicht zu ihnen gehören, oder? Wenn Sie all diese Nachteile so klar erkennen, hätten Sie sich auch in Ihrem Traumberuf nicht wohlgefühlt."
„Sie denken, dass ich mich selbst bemitleide,” stellte er fest. „Dass ich mit dieser neuen Zeit nicht fertig werde und mich insgeheim in diese alte Ordnung zurück sehne. Nicht wahr, das denken Sie doch, oder?”
Aber er erwartete keine Antwort. Sein angespannter Oberkörper erschlaffte, das zerknüllte Zigarettenpäckchen flog über die Balustrade, er warf
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