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Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)

Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)

Titel: Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.L. Jannings
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des Cafés erklärt. Schauen Sie, rechts vom Eingang ist das „Nichtschwimmerbecken”. Sie beugten sich jetzt beide über die Balustrade. „Hier werden die Künstler und Sternchen platziert, die erst am Anfang ihres Ruhms stehen oder wegen Geldmangel noch nicht unter den großen Haifischen schwimmen können, ohne gefressen zu werden. Also quasi eine Stufe tiefer in der Nahrungskette.”
    Und wirklich, der Unterschied war selbst von hier oben ganz deutlich zu sehen. Reckten sich links die goldenen Hälse der Champagnerflaschen aus ungeputzten falschen Silberkühlern, beherrschten rechts bodenständige Biergläser und plumpe Kaffeetassen das Bild. Sie hielten sich lange und ausdauernd auf den Tischen. Ein kleines Bier bei den Nichtschwimmern überlebte spielend eine Magnumflasche Champagner im Haifischbecken. Resigniert schwitzten angebissene Schmalzstullen auf Steinguttellern vor sich hin. Bräunlich grüne Erbensuppen erkalteten und legten sich über heißen Diskussionen eine dicke Haut zu. Blasse, unrasierte Männer in schlecht sitzenden Anzügen und ergrauten Hemden argumentierten, je nach Temperament, mit trauriger Verbissenheit oder glühender Leidenschaft. Sie gestikulierten wild mit den Armen oder stachen im Stakkato Löcher in die Luft. Ernst und schwerwiegend, alles entscheidend mussten diese Themen sein. Die Körpersprache der Beteiligten legte ein lebhaftes Zeugnis von Avantgarde, Aufbruch und Klassenkampf ab. Die Argumente selbst wiederholten sich. Wieder und wieder in neue, andere, gescheitere oder dümmere, gedrechselte oder aggressive Worte gekleidet, wurden sie Abend für Abend zum Besten gegeben. Ein dramaturgisches Kollektiv mit einem harten Kern von Hauptdarstellern, umkreist von einem stets wechselnden Rudel von Statisten, die eifrig auf die Stichworte ihrer Leitwölfe eingingen. Hin und wieder saß wohl auch ein echter Arbeiter dazwischen, der im Tross eines Autors oder Bildhauers Einlass gefunden hatte. Die Nähe zum Volk, besser gesagt zu einzelnen, besonders typischen Exemplaren davon, war unerlässlich. Sie wirkte erfrischend und motivierend. Konnte man doch mit wohligem Schaudern insgeheim feststellen, dass die armen Schweine ein noch viel entbehrungsreicheres Leben führten, als man selbst, was wiederum die Flamme der Leidenschaft zu ihrer Befreiung aus dem kapitalistischen Joch noch heller lodern ließ. Man erkannte diese Vertreter der geknechteten Schichten sehr leicht an ihrem verlorenen, verwirrten oder gelangweilten Gesichtsausdruck, ihrer unsicheren Haltung und daran, dass sie nicht an den Diskussionen über ihre Befreiung teilnahmen.
    Bei den anwesenden Frauen verhielt es sich anders. Zwar waren auch sie meistens aus der Arbeiterklasse entliehen, im Unterschied zu ihren männlichen Artgenossen versuchten sie jedoch ihre Unsicherheit oder Langeweile aktiv zu bekämpfen. Nach dem Scheitern beherzter Versuche, ihre Begleiter mit erhöhter Körpernähe, zunehmender Blicktiefe und vertraulichen Mitteilungen ins Ohr an ihre Anwesenheit zu erinnern, zogen sie sich nach und nach in einzelne Damenrunden zurück. Hier angekommen, demonstrierten sie unter rasant steigendem Alkoholeinfluss und kreischenden Heiterkeitsausbrüchen, dass Amüsement auch ohne die Mitwirkung des männlichen Geschlechts möglich war.
    „Sie kennen sich hier sehr gut aus. Das ist ziemlich ungewöhnlich für einen Physiker, oder?” Jayata wollte mehr über ihn wissen. Er drehte sich mit einem Ruck von der Balustrade zu ihr hin.
    „Aber Jayata, um Gottes Willen, wie kommen Sie denn darauf, dass ich Physiker bin? Das habe ich doch nie gesagt!” Er schaute sie betroffen an, als ob sie ihn bei einer peinlichen Hochstapelei erwischt hätte. Viel leiser und wie beschämt fügte er hinzu: „Ich bin Sekretär bei der Zentrumspartei. Ein Schreiber sozusagen. Das ist alles. Ich kenne mich hier nur so gut aus, weil ich immer unsere Abgeordneten aus der Provinz in der Hauptstadt ausführen muss. Jetzt sind Sie sicher enttäuscht.” Sein Kopf senke sich und der Finger fing wieder an, Kreise in der Bierpfütze zu ziehen.
    „Ich bin nicht enttäuscht. Aber es scheint mir, dass Sie es umso mehr sind.” Sie war über ihre schlagfertige Antwort selbst überraschter als Robert. „Die Vermutung lag doch nahe, dass Sie Physiker sind. Sie waren einer der ganz wenigen, die diesem Vortrag heute Abend folgen konnten. Die Physik ist dann also ihr Hobby, oder?”
    „Ja, ein Hobby, eine skurrile, brotlose Freizeitbeschäftigung.”

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