Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
Experte war, hätte man sie wahrscheinlich gar nicht als Diamanten erkannt. Sie sahen eher aus wie glänzende, transparente Kieselsteine, deren Kanten noch nicht von Wind und Wasser rundgeschliffen waren. Sie waren nicht in geometrischen Kristallanordnungen gewachsen, sondern in freien Formen. Ihre kleineren Artgenossen, Robert gab ihnen die Bezeichnung Typ I, nahmen sich gedrungen gegen sie aus, als ob sie wohl oder übel folgsam nach dem vorgegebenen restriktiven Bauplan gewachsen waren. Typ II, nach seiner selbsterfundenen Nomenklatur, hingegen hatte sich frei und unbehindert entfaltet. Es musste einen Grund dafür geben. Für Robert, den Mineralogen, eine hoch interessante Frage, die seine Intelligenz herausforderte. Abends diskutierte er mit Reuning und Merensky über das Phänomen. Aber sie wussten genau, dass eine solche Aufgabe nicht im Grabungscamp zu lösen war. Eine Woche, nachdem sie aus dem windschiefen Schuppen in die Dünen aufgebrochen waren, hockten sie abends im schwachen Licht des Campfeuers um ihren Sortiertisch im Sand und betrachteten wieder einmal stumm und ungläubig die Ausbeute der vergangenen Tage. Sie taten das fast jeden Abend, als ob sie sich immer wieder mit eigenen Augen davon überzeugen müssten, dass das alles Wirklichkeit war. Ernst Reuning schob einen großen Rohdiamanten mit dem Zeigefinger hin und her und schüttelte versonnen den Kopf:
„Wenn wir nur das, was hier auf dem Brett liegt, vor zwei Monaten gefunden hätten, hättest du keinen einzigen Investor gebraucht. Du hättest Dir alle Claims entlang der Bank sichern und die Förderung ganz allein hochziehen können.”
Hans nickte. „Stimmt. Aber es wird mehr als genug für alle da sein. Das hier ist nur der erste Fund aus einem einzigen unserer Claims. Wir haben die geologische Spur richtig gelesen und müssen ihr jetzt nur folgen. Sie führt bis zum Horizont und weit darüber hinaus. Jedes Mitglied in meinem Syndikat wird den Erlös dieser Investition zu seinen Lebzeiten nicht ausgeben können, es sei denn, er verzockt es an der Börse oder im Kasino. Nein, ich bin froh dass Stauch, Becker, Jeppe und Bailey mit eingestiegen sind.” Er sog an seiner zerkauten Zigarre, stützte das Kinn in die Hand und starrte wieder hinunter auf das Sortierbrett. Die Falten auf seiner Stirn und der dunkle Blick in seinen Augen passten aber nicht zu dieser Glücksbotschaft. Robert ließ sich zurück in den Sand fallen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Heute Nacht würde es neblig werden, er sah die Schwaden im letzten Licht der Dämmerung vom Meer hereinziehen. „Die Lagerstätten sind nicht tief, man wird keine Riesenlöcher graben müssen, so wie in Kimberley. Genau betrachtet, liegen die Steine praktisch in der Wüste herum. Man muss nur wissen wo. Die Investitionen zur Förderung werden im Vergleich zu den anderen südafrikanischen Minen klein sein und die Ausbeute phänomenal. Jedenfalls nach allem, was wir bis jetzt wissen. Zu viel, zu groß, zu gut, zu schnell. Wenn sie mit derselben Geschwindigkeit auf den Markt kommen, wie wir sie hier fördern könnten, fallen die Preise ins Bodenlose.”
Robert wusste, warum sich Merensky an seinem Glück nicht rückhaltlos freuen konnte. Hans malträtierte weiter die unschuldige Zigarre: „Wir müssen verdammt vorsichtig sein und jeden Schritt genau überlegen.”
Ernst brummte unwillig und nahm einen tiefen Schluck aus dem Flachmann: „Wir sind hier auf südafrikanischem Territorium, nicht im Protektorat Südwest, wo der Völkerbund auch immer noch ein Wörtchen mitredet. Trotz der Gold- und Platinfunde der letzten Jahre sind die Diamantminen immer noch der wichtigste Wirtschaftszweig in Südafrika. Du wirst schon deshalb auch um die verdammten Politiker nicht herum kommen. Nicht um die Politiker, nicht um das DePass Kartell in Kimberley und auch nicht um deinen Freund Niersteiner und seine Consolidated Mines. Dem gehören ja jetzt schon alle Diamantfelder auf der anderen Seite des Flusses. Dein unmittelbarer Nachbar sozusagen. Tja, Hans, du wirst dich da mit so ziemlich allen Platzhirschen auf dem südlichen Teil des Kontinents arrangieren müssen, wenn du die Sache erfolgreich angehen willst. Wenn man mit dem Teufel frühstückt, braucht man einen verdammt langen Löffel. Jetzt krieche ich erstmal unter die Decke. Ich will ausgeschlafen sein, wenn wir morgen früh weiterziehen. Gute Nacht.”
Er stemmte sich hoch, ging zu seinem Schlafplatz, zog die Stiefel aus und kroch
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