Dunkle Ernte
angehalten zu haben – eine skrupellose, aber wirkungsvolle Methode. Nick Clarke drückte seine Zigarette aus und ging mit federnden Schritten in die entgegengesetzte Richtung davon. Niemand achtete auf ihn.
Jack spürte, wie ihn jemand am Arm zog und sich ein Schatten über ihn schob, die Frau aus dem Hotel. Er hob den Kopf, wedelte mit der Hand, um sie zu verscheuchen, und hievte sich auf den Gehsteig. Ihr Mund bewegte sich, doch er verstand nicht, was sie sagte. Um ihn herum herrschte Panik, rennende Menschen, blutende Menschen, und überall Glas. Er hörte nichts, nur gedämpfte Geräusche, übertönt von einem hohen Pfeifton.
Das Auto war verkohlt und völlig zerfetzt. Keine Spur vom Fahrer. Keine Spur von seinem Vater. Er lehnte sich an die Wand und bewegte die Finger vor den Augen. Es fühlte sich an, als gehörten sie nicht zu ihm. Dann drehte er die Hände, streckte Arme und Beine. Er hatte überlebt. Er hatte ein paar Schrammen davongetragen, aber er lebte.
Langsam und vorsichtig zog er sich auf die Beine. Wie betäubt setzte er einen Fuß vor den anderen, schob sich durch die Menschenmenge und steuerte auf ein Café zu. Dann wurden die Stimmen wieder lauter. Er sah auf seine Uhr. Sie tickte noch. Vielleicht war die Omega wirklich ein Glücksbringer, jedenfalls für ihn. Er stieß die Cafétür auf, das Lokal war menschenleer. Er fand ein Waschbecken, wusch seine Schnittwunden und das Blut aus seinem Bart und musterte dann sein Gesicht im Spiegel. Unter den Augen bildeten sich bereits Blutergüsse. Wahrscheinlich war die Nase gebrochen. In seinen Kopf drängte sich mit Macht ein Gedanke.
Rache .
Aber zuerst musste er nach Burundi zu Spike van de Weye, um sich einen Pass und ein Flugticket nach Hause zu besorgen. Anschließend würde er sich mit Sir Clive befassen.
77
Amanda musste scharf bremsen, als sie in die Tankstelle einbog, um nicht eine Familie mit Kindern zu überfahren, die unvermittelt vor ihr aus dem Wagen stieg. Sie riss am Lenkrad, um auszuweichen, und erntete erboste Gesten und Blicke. Zwei Stunden war sie durchgefahren, die Hände um das Lenkrad gekrallt. Als der alte Golf endlich stand, atmete sie tief durch. Sie kurbelte das Fenster herunter. An die Fahrt konnte sie sich nur schemenhaft erinnern, die Autos, die sie überholt, die vielen Kilometer, die sie abgerissen hatte. Sie nahm das Handy vom Beifahrersitz, prüfte reflexartig ihr Aussehen im Rückspiegel und drückte die Wähltaste. Ihre Hand zitterte. Komm schon, Jack, geh ran .
Sir Clive zappte durch die Programme, bis er bei den BBC World News ankam. Eine Straßenszene, wildes Durcheinander, mittendrin ein ausgebranntes Autowrack. Er hatte den Fernseher auf stumm gestellt, doch am unteren Bildschirmrand liefen kontinuierlich die Schlagzeilen durch. Breaking News: Autobombe in Kampala explodiert, zwei britische Touristen und ein ortsansässiger Mann tot. Al-Qaida unter Verdacht. Mehr in Kürze . Als Nächstes erschien wieder die Nachrichtensprecherin hinter ihrem Pult, die mit ernster Miene einen ebenso ernst dreinblickenden Sicherheitsexperten interviewte.
Sir Clive schaltete den Fernseher aus. Es war erstaunlich, wie rasch es so ein Vorfall heutzutage ins Fernsehen schaffte. Irgendjemand mit einer Handykamera war immer scharf darauf, das Desaster festzuhalten, ins Netz zu stellen und sich mit dem Schicksal eines ihm völlig unbekannten Mitmenschen wichtig zu machen.
Nick Clarke hatte ihn bereits angerufen und den Erfolg der Operation bestätigt. Sie war lehrbuchmäßig abgelaufen. Ihr Mann in Kampala würde jetzt die Aufgabe übernehmen, das Vereinigte Königreich im Ermittlungsverfahren zu vertreten. Absurder ging es nicht, dachte Sir Clive und blätterte die Akte auf seinem Tisch durch. Amanda Marshall … Er spielte mit dem Gedanken, die Suche nach ihr abzublasen und sie in Ruhe zu lassen, klappte dann aber entschlossen die Mappe zu. Er würde nichts mehr dem Zufall überlassen. Dafür stand für ihn viel zu viel auf dem Spiel.
Höchste Zeit, ihre Spur aufzunehmen und ihre Kreditkarten überprüfen zu lassen. Michaels stand auf Abruf bereit. Es war nur eine Frage der Zeit, sie zu finden. Schließlich war sie kein Profi.
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Bar Terese, Bujumbura, Burundi
Die Sonne sank tief in den afrikanischen Himmel und verwandelte die Staubwüsten in Seen aus Gold. In der Ferne flimmerten die Lichter Burundis, auf dem Highway dröhnten Trucks vorbei, voller Menschen und schwer beladen, hinaus aus der Stadt. Jack trank einen
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