Dunkle Ernte
ohne richtig zuzuhören. »Die Unabhängigkeit geht dir über alles, was? Gut, gut.« Er stellte die leere Bierflasche ab und neigte sich mit ernster Miene näher. »So, Jack. Und jetzt erzählst du mir, warum du wirklich hier bist. Du rufst doch nicht zwei Jahre lang nicht an, um dann aus heiterem Himmel vor der Tür zu stehen. Steckst du in Schwierigkeiten?«
20
Jack schluckte den letzten Mund voll Tee hinunter. Er hatte noch nicht darüber nachgedacht, wie er es formulieren sollte. »Nein, ich stecke nicht in Schwierigkeiten. Das heißt, ich könnte mich ganz einfach entziehen, wenn ich wollte.« Er spürte den Blick seines Vaters, der jetzt nicht mehr glasig, sondern bohrend und hoch konzentriert war, ein Ausdruck, den Jack kaum mehr von ihm kannte. »Die Regierung will, dass ich etwas für sie tue. Ich kann dir die Geschichte nicht erklären, sie ist viel zu abstrus. Im Wesentlichen geht es darum, ein Computerprogramm zu übergeben.«
»An wen?«, fragte Archie prompt.
»Tja, das weiß ich nicht. Das müssen sie erst herausfinden.«
»Tu es nicht«, erwiderte Archie ruhig.
Jack war überrascht, wie energisch sein Vater reagierte, wie fokussiert er auf einmal war und wie leicht er die Rolle des abgestürzten Alkoholikers ablegte.
»Ist das alles?« Jack runzelte die Stirn. »Ich habe noch nicht einmal erklärt, worum es genau geht …«
»Das musst du gar nicht. Ich habe genug gehört. Die Leute, die dich um deine Mithilfe gebeten haben, werden dich ins Ungewisse schicken, weil sie entweder nicht wollen, dass du weißt, mit wem du es zu tun hast, oder weil sie tatsächlich selbst keine Ahnung haben. Du hast mich um Rat gefragt. Mein Rat lautet: Arbeite nicht unter solchen Voraussetzungen. Bei der Armee lernt man schnell, dass man sich niemals mit Lügnern oder Idioten einlassen darf. Sie können einen leicht den Kopf kosten.«
Jack biss sich auf die Lippe und wandte den Blick ab. War es wirklich so simpel? Sein Vater war Meister darin, aufzugeben und wegzulaufen. Konnte man überhaupt einen anderen Rat von ihm erwarten?
»Also gut«, sagte Archie. »Ich sehe, ich habe dich nicht überzeugt. Ich werde nicht versuchen dich zu überreden, und ich werde dich auch nicht fragen, warum du das tun willst oder wie du in die Sache hineingeraten bist. Nur eins will ich noch sagen: Wenn du das tatsächlich machen willst, halt immer Augen und Ohren offen. Von allem, was man dir sagt, kann auch das Gegenteil eintreffen. Was auch immer sie von dir wollen, sieh zu, dass du dir eine Hintertür offenhältst. Wo soll das stattfinden, hier oder in den Staaten?«
»Hier. Morgen Abend.«
»Wo?«
»Höchstwahrscheinlich in Cambridge.«
»Soll ich hinkommen?«
Jack hob verwundert die Augenbrauen. »Nein, besser nicht. Es wird schon gutgehen«, sagte er schließlich.
Archie blickte skeptisch drein. »Was wirst du an Ausrüstung bekommen?«
»Ich weiß nicht, gar keine. Es werden noch andere dabei sein«, antwortete er schwach.
Sein Vater schüttelte den Kopf. »Da ist was faul, Jack. Du weißt mehr darüber als ich, aber meiner Ansicht nach ist da was faul.« Er kratzte sich an seinem grauen Haarwust. »Pass auf, was ich dir sage: In was auch immer du hineingerätst, du musst wissen, wo deine Prioritäten liegen. Stürz dich nicht aus Jux und Tollerei in so eine Mission, nur um zu sehen, ob du es schaffst, den Kugeln auszuweichen. Tu es nur, wenn du genau weißt, worauf du dich einlässt.«
Jack nickte. Für einen Mann, der um diese Tageszeit beim dritten Bier angelangt und angezogen war, als hätte er seine Klamotten blind aus der Altkleidersammlung gefischt, klang er ziemlich vernünftig.
Jack stand auf. »Danke«, sagte er mit einem Nicken. »Ich werde darüber nachdenken.«
Sein Vater machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nichts zu danken«, erwiderte er und nahm einen Schluck Bier. »Ach, eins noch, bevor du gehst.«
Jack wandte sich zu ihm um und beobachtete, wie er im Schrank herumwühlte, Kleider aus den Fächern zog und sie einfach zu Boden fallen ließ.
»Hier ist sie; ich wusste, ich hab sie an einem sicheren Ort aufbewahrt«, sagte Archie schließlich und hielt Jack eine ramponiert aussehende Omega-Taucheruhr mit zerkratztem Glas und abgenutztem Metallarmband hin.
Jack sah sie unsicher an. »Ich habe erst im Mai Geburtstag, Dad. Das musst du wirklich nicht tun.«
»Das ist kein Geburtstagsgeschenk. Das ist ein Glücksbringer«, sagte Archie, und in seinen Augen lag ein Glühen, das nicht nur vom
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