Dunkle Ernte
er je für möglich gehalten hätte. Moderne Kriegsführung war ein kostspieliges und riskantes Geschäft, und die letzten drei Präsidenten hatten sie nur allzu gern an private Unternehmen wie Centurion delegiert.
Nein, das Leben in Los Angeles war nichts für ihn. Die unerbittliche Sonne der Wüste, gefolgt von eiskalten Nächten, oder die dampfende Hitze des Dschungels, die Notwendigkeit, alles zu geben, um zu überleben, das war mehr nach seinem Geschmack. Da fühlte er sich lebendig. Nicht hier, umgeben von anabolikageblähten Bodybuildern, die nicht wussten, wie man einen Kinnhaken platzierte, selbst wenn es um Leben und Tod ging.
Dass er Beverly Hills zum Standort für seine Firmenzentrale gemacht hatte, lag an seiner dritten Frau. Sie war dreißig Jahre jünger als er und gehörte dem gleichen Schuljahrgang an wie seine Tochter. Sie war hauptberuflich Blondine und Fitnesstrainerin, mit einem dieser typischen braungebrannten kalifornischen Körper, mit denen er im Bett seinen Spaß hatte – oder zumindest anfangs gehabt hatte. Inzwischen waren sie ein paar Jahre zusammen, und es war nicht mehr ganz so spannend, wenn sie ihm einen blies. Außerdem ließ sie sich in letzter Zeit seine Machtspielchen im Bett nicht mehr widerstandslos gefallen. Vielleicht war es an der Zeit, sich Ehefrau Nummer vier zu suchen. Aber das hatte keine Eile. Juanita, die süße kleine mexikanische Haushälterin, hob bereitwillig ihren Rock, damit er zwanglos seine Bedürfnisse befriedigen konnte – jedenfalls solange er sie mit teuren Geschenken bedachte.
Er bog auf den Freeway ein, jagte über den breiten Boulevard und nahm dann die Abfahrt Richtung Küstenstraße. Er musste sich abreagieren, den Ärger aus dem Büro hinter sich lassen. Seine Leute versagten selbst bei den einfachsten Aufgaben … Nein, das war nicht fair. Seine Leute waren gut, loyal und zuverlässig. Es war nur ein Fehler gewesen, diesen Monsieur Blanc zu engagieren. Bob, sein Stellvertreter, hatte den Mann vorgeschlagen, weil ihm ein hervorragender Ruf vorauseilte. Nicht zum ersten Mal in seinem Berufsleben wurde Harvey daran erinnert, dass man sich nur auf sein eigenes Urteil verlassen durfte. Vertraue nie der Meinung anderer . Er konnte nicht sagen, ob Monsieur Blanc mit seiner Verzögerungstaktik den Preis in die Höhe treiben wollte oder ob er einfach unfähig war. Beides ließ den Mann nicht eben im besten Licht dastehen.
Harvey parkte den SUV an einem wenig befahrenen Abschnitt des Highways und stieg aus, um über den Ozean zu blicken. Die See war dunkelblau, und weiße Pferdchen tanzten auf den schäumenden Wellen. Man kam an das Wasser nur heran, wenn man sprang, und die Klippen waren gut und gern acht Meter hoch. Bei der Dünung herrschte wahrscheinlich starke Strömung. Es würde nicht leicht sein, wieder zur Straße hochzuklettern.
Dieser Gedanke gab den Ausschlag. Harvey zog seine Kleider aus und warf sie auf die Rückbank des Wagens. Einen Moment lang blieb er in seinen Boxershorts stehen und ließ seinen sechzigjährigen Körper von der Sonne wärmen. Dann trat er ruhig auf die Kante zu und sprang. Er würde flach eintauchen, für den Fall, dass Felsen unter der Wasseroberfläche waren, eine Stunde lang aufs offene Meer hinausschwimmen und je nach Strömung auch wieder eine Stunde oder mehr für den Rückweg benötigen. Das war seine Art zu trainieren, seinen Körper mit unbekannten Aufgaben auf die Probe zu stellen, ob er noch die gleiche Kraft und Kondition hatte wie in jungen Jahren. Das Wasser fühlte sich gut an, es löste die Verkrampfung seiner Muskeln. Er genoss das Gefühl von Freiheit, das ihn an seine Jugend erinnerte, als er für die California State University geschwommen war.
Außerdem half es ihm beim Nachdenken. Im Wasser konnte er sich perfekt konzentrieren. Er spürte, Monsieur Blanc brauchte eine Art Ultimatum, doch Harvey arbeitete nicht gern mit Drohungen. Er war ein Mann der Tat. Drohungen hatten ohnehin keinen Sinn, besser, man zog gleich die Konsequenzen. Dann waren alle anderen auch gewarnt.
Gut zwei Stunden später ließ er sich von den Wellen wieder an den Felsen spülen. Das Hochklettern bereitete ihm Schmerzen. Immer wieder drohten seine Arme und Beine, vom Schwimmen gegen den Strom ermüdet, von schmalen Rändern und Spalten abzugleiten. Doch er zog sich mit eisernem Willen an der steilen Felswand hoch. Erschöpft, aber zufrieden wälzte er sich über den Rand und streckte sich neben dem Wagen in der Sonne aus.
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