Dunkle Ernte
dicken Tweedrock und den braunen Pullover. Kein Make-up, kein Ohrschmuck, die Figur nicht der Rede wert. Er fischte einen Umschlag aus der Tasche und schob ihn über den Tisch.
»Und was haben Sie mit dem ganzen Geld vor?«, fragte er in gespielter Arglosigkeit. So viel war es nicht, aber eine schlecht bezahlte Regierungsangestellte würde das sicher anders sehen.
Mary war die Frage peinlich, doch Sir Clive hatte sie darauf vorbereitet. Antworten Sie einfach wahrheitsgemäß, erzählen Sie, was Sie mit dem Geld tun würden.
»In meiner Nachbarschaft ist ein Katzenasyl. Die brauchen dringend Geld. So viele misshandelte Tiere …« Sie erschauerte. »Sie wären entsetzt, wenn Sie sehen würden, wie manche Leute ihre Haustiere behandeln.«
Monsieur Blanc nickte. Er hatte Katze einmal probiert, aber das Fleisch war faserig gewesen und hatte einen unangenehmen Beigeschmack gehabt. Über die Gefühlsduselei, die Westler mit ihren Haustieren betrieben, wunderte er sich längst nicht mehr. Jemand wie Mary Dalkeith hätte ihn als Kind wahrscheinlich verhungern lassen, damit irgendwelche räudigen Straßenköter etwas zu fressen bekamen.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern zur Arbeit gehen. Normalerweise sitze ich um acht am Schreibtisch. Wenn ich zu spät komme, fangen sie vielleicht an, Fragen zu stellen.«
Er nickte. »Natürlich. Sie sagten, Sie hätten weitere Neuigkeiten über das letzte Modul. Wie wir es finden könnten.«
Mary beugte sich zu ihm über den Tisch. »Der MI 6 ist ihm auf der Spur«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Gestern war der junge Mann im Krankenhaus. Addenbrooke’s Hospital. Heute Morgen ist er entlassen worden. Soweit wir wissen, ist das Modul noch in ihm drin.«
»Wo ist er jetzt?«
»Wieder in Cambridge. In seinem Zimmer im College.«
»Warum hat ihn der MI 6 nicht mitgenommen?«
Sie sah sich erneut verstohlen um. »Sie hoffen, dass er sie zu Ihnen führt.«
Monsieur Blanc nickte wieder. Das klang plausibel, aber es bedeutete auch, dass er mit äußerster Vorsicht vorgehen musste, wenn er sich dem jungen Mann näherte. Er durfte auf keinen Fall riskieren, seinen Aufenthaltsort preiszugeben oder die Leute, für die er arbeitete. »Danke. Das war sehr aufschlussreich. Sie dürfen jetzt gehen.« Er machte eine wedelnde Handbewegung.
Von der abfälligen Geste gekränkt, stand Mary abrupt auf und stopfte den Umschlag mit dem Geld in ihre Handtasche. Im Gehen stieß sie gegen den Gast, der hinter ihr saß, und verschwand dann eilig nach draußen. Monsieur Blanc sah ihr aufmerksam nach, ehe er sich wieder seinem Teller widmete. Auf der Sauce Hollandaise klebte ein graues Haar, eine Hinterlassenschaft von Mrs Dalkeith. Angeekelt schob er den Teller von sich.
22
Hauptsitz von Centurion International, Los Angeles
Harvey sah auf die Uhr. Es war zehn vor sieben. Er war gern zeitig im Büro, auch wenn ihn dort nichts weiter erwartete als eine Abfolge öder Strategiemeetings. Aber zum Mittagessen würde er ins Lazy Joe’s gehen, eines der wenigen Restaurants in Los Angeles, wo man ein anständiges Steak bekam. Es hat doch alles sein Gutes, dachte er. Jetzt fehlten nur noch gute Nachrichten von Monsieur Blanc.
Bei dem Gedanken, dass ein Teil seines Plans noch immer nicht ausgeführt war, und zwar vor allem deshalb, weil er sich in die Abhängigkeit eines Fremden begeben hatte, fasste er das Lenkrad fester und verschärfte seinen Fahrstil. Bei Centurion angekommen, parkte er den großen SUV auf seinem Platz direkt vor dem Hauptgebäude. Beim Eintreten nickte er dem Sicherheitsmann zu.
»Irgendwelche Nachrichten für mich?«, fragte er die Empfangsdame, eine sinnliche Latina namens Carla mit einer Schwäche für Designerschuhe, die sie sich bei dem Gehalt, das er ihr zahlte, gewiss nicht leisten konnte. Er nahm sich vor, ihre Bankkonten überprüfen zu lassen, um zu sehen, ob es Hinweise auf verdächtige Einzahlungen gab. Das Letzte, was er brauchte, war eine Angestellte, die sich ihre Shoppinglust mit dem Verrat von Geheiminformationen finanzierte.
»Guten Morgen, Mr Newman. Nur Ihre Frau, die Sie daran erinnert, dass im Golfklub heute Abend eine Wohltätigkeitsveranstaltung stattfindet«, erwiderte sie mit ihrem melodiösen lateinamerikanischen Akzent und warf ihm ein strahlendes Lächeln zu.
»Wie könnte ich das vergessen? Einen Abend lang Händeschütteln mit den schlimmsten Langweilern der Stadt«, sagte er sarkastisch. Seine Stimmung hellte sich etwas auf, als
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