Dunkle Ernte

Dreadlocks hin und her schwangen wie Lianen. Nein, Mann, hör auf … ich habe nichts getan. Was auch immer es ist, ich bin es nicht gewesen … ich hab nichts angestellt, ehrlich, Mann … Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne, flehentlich und kläglich. Er wühlte tief in seinen Taschen und warf dann eine Handvoll zerknitterter Dollarscheine in Richtung der Kamera. Mehr hab ich nicht, Mann, hier, kannst alles haben … Die Stimme war erstickt vor Panik.
    Ziel erfasst . Es war das Letzte, was der Mann im Leben hörte.
    Es klickte, summte, zischte. Hände und Gesicht des Mannes blähten sich zu glutroten Blasen auf, und ein grell-weißes Licht blitzte auf, zu grell für die Kamera. Dann war der Bildschirm schwarz.
    »Unfassbar«, sagte Harvey kopfschüttelnd. »Tödlich auf fünfzig Meter Entfernung, trotz des herabgesetzten Wirkungsgrads. Wann ist das Meeting mit der Außenministerin?«
    »Um neun.«
    »Das hier werden wir ihr mit Sicherheit nicht zeigen. Hast du die Aufnahmen von den Tests mit den Schweinen und Ziegen?«
    »Zum Abspielen bereit«, antwortete Bob und begann zu tippen.
    »Gute Arbeit, Bob«, lobte Harvey. »Irgendwas müssen wir ihr präsentieren, damit sie einen Eindruck davon bekommt, wie zeitintensiv dieser Auftrag ist. Was habt ihr mit der Leiche gemacht?«
    »Gar nichts«, sagte Bob. »Einfach liegen lassen. So wie sonst auch immer. Es war eine von Mr. Clives besseren Ideen, die neue Technologie an Junkies und Pennern auszuprobieren.«
    »Für Sie immer noch Sir Clive , Mr. Lowenstein.« Harvey äffte den affektierten Tonfall des Briten nach.
    »Weißt du noch, wie wir vergessen haben, ihn dem Botschafter korrekt vorzustellen? Mann, der hat doch einen Stock verschluckt.« Bob erlaubte sich ein seltenes Lächeln und fügte dann trocken hinzu: »Er geht gleich um acht Uhr online. Wir haben eine sichere Satellitenverbindung eingerichtet. Er wird live und in Farbe beim Meeting dabei sein.«
    Harvey nickte. Mit seinen politischen und geheimdienstlichen Verbindungen, an die selbst Centurion nicht herankam, war Sir Clive eine Bereicherung für das Projekt. Er war zwar teuer, doch bislang lohnte sich die Investition – zumindest solange der Plan funktionierte, den er zur Sicherung der Coltan-Minen im Kongo entwickelt hatte.

23
    Schnellzug London–Cambridge, 14:18 Uhr
    Jack beobachtete durch das Waggonfenster, wie Londons Vorstädte vorüberzogen. Die Worte seines Vaters ertönten unablässig in seinem Kopf, als liefe eine Schallplatte mit Sprung. Da ist was faul, Jack … du musst wissen, wo deine Prioritäten liegen . Trotzdem hatte er sich dafür entschieden, zu Sir Clive zurückzugehen und dem MI 6 zu erlauben, das Modul wieder in seinen Bauch zu pflanzen. Die örtliche Betäubung begann bereits nachzulassen, doch man hatte ihm versichert, sie würde lange genug anhalten, dass das Entfernen schmerzlos sein würde.
    »Machen Sie sich keine Gedanken, Jack«, hatte Sir Clive gesagt und ihm fest eine Hand auf die Schulter gelegt, in einer beinahe väterlichen Geste, als empfinde er einen gewissen Stolz auf den jungen Mann, der sich der Bewährungsprobe gestellt und die Herausforderung angenommen hatte. Er hatte überrascht, aber auch erleichtert gewirkt. »Ich kann nicht versprechen, dass Ihnen nichts geschehen wird, aber ich kann Ihnen versprechen, dass wir unser Bestes geben werden, um zu verhindern, dass Ihnen etwas geschieht. Wir werden vom Nachbarzimmer aus alles beobachten.«
    Er besaß wirklich große Überzeugungskraft, und Jack war noch nicht so zynisch und abgebrüht wie sein Vater.
    Sie hatten ihm vier Kameras mitgegeben, die er in den vier Ecken des Raumes anbringen sollte, und eine Nadelkopfkamera, die er am Revers seines Jacketts befestigte. Sie würden alles live auf einen Monitor im Nebenraum übertragen.
    »Wenn sich auch nur im Geringsten andeutet, dass die Sie kaltmachen wollen, sind wir sofort zur Stelle. Aber wir müssen ihnen die Chance lassen, das Modul zu entwenden, damit sie denken, sie hätten gewonnen. Anschließend müssen wir uns an ihre Fersen heften, um zu sehen, wohin sie uns führen.« Sir Clive war von seinem Schreibtisch zum Fenster getreten und hatte auf die Themse hinuntergeblickt. »Sie haben da eine bedeutsame Aufgabe übernommen, Jack«, hatte er hinzugefügt. »Ich hoffe, das ist Ihnen bewusst.«
    Jack wusste immer noch nicht so recht, warum er es tat, aber er hatte das befriedigende Gefühl, sich richtig entschieden zu haben. Es war die Gefahr, die ihn