Dunkle Ernte
Sonntagnachmittag?«
Sir Clive trug ein Dinnerjackett und eine weiße Fliege. Er winkte missmutig ab. »Nun, ich hatte schon gehofft, das Ende der Matinee nicht zu verpassen. Es ist verdammt schwer, Karten für Tosca zu bekommen, aber Sie sagten, es sei dringend. Und Sie zahlen mir schließlich genug, um mich aus der Oper holen zu dürfen.«
»Die Heldin wird sich am Ende von den Klippen stürzen«, sagte Bob trocken.
Harvey hob die Brauen. Er wusste, dass Bob vielseitige Interessen hatte, aber dass er seine langen Gliedmaßen in die Sitze der New Yorker Oper faltete, um sich einen Abend lang Gejaule von Fettleibigen anzuhören, das hatte er nicht erwartet.
Sir Clive lachte. »Und da heißt es immer, ihr Amis habt keinen Sinn für Humor.«
»Wie ist es mit dem jungen Mann gelaufen? Ist er bereit, mitzumachen und sich das zehnte Modul abnehmen zu lassen?«, fragte Harvey.
»Er ist mit im Boot. War ein Kinderspiel. Ich habe ihm die Geschichte erzählt, die wir abgesprochen hatten, Atombombe fürs Internet, Cyber-Terrorismus und so weiter, das Übliche. Genau das, was ich auch Regierungsmitgliedern gegenüber erzählt habe und worauf sogar diese Meisterzyniker hereingefallen sind. Wenn er heil aus der Sache rauskommt, werde ich ihm, glaube ich, einen Job anbieten. Was ist mit Monsieur Blanc? Haben Sie inzwischen von ihm gehört?«
Harvey verlagerte im Sitzen sein Gewicht. »Noch nicht, aber er hat mir versprochen, dass er die Sache im Griff hat«, erwiderte er.
»Das sollte er auch, schließlich lassen wir jede Menge Informationen an ihn durchsickern«, sagte Sir Clive entrüstet. »Er hat bei dieser Sache schon zweimal was versaut. Wenn er es nicht schafft, die Module an den Käufer im Kongo zu liefern, haben wir leider keinen Vorwand, um in das verdammte Land einzufallen, und Sie müssen auf Ihr kostbares Coltan verzichten.«
Harvey knirschte mit den Zähnen. In seiner Firma wagte niemand, so mit ihm zu sprechen. Bob sah ihn abwartend an. Ob er sich das gefallen ließ? Der Boss atmete tief durch, um seine Beherrschung wiederzugewinnen. Er brauchte den weinerlichen Briten noch. Besser, er ließ es jetzt dabei bewenden.
»Monsieur Blanc hat mir, wie gesagt, versichert, dass er alles im Griff hat. Von meinem Standpunkt aus können wir im Moment nicht viel machen. Sind Sie sicher, dass der junge Kerl nicht wieder in Kung-Fu-Manier über den Arzt herfällt, statt ihn das Modul entnehmen zu lassen?«
»Ganz sicher«, erwiderte Sir Clive zuversichtlich. »Wir haben ihn mit Schmerzmitteln vollgepumpt und ihm versichert, dass wir im Notfall eingreifen.«
»Und das hat er Ihnen abgenommen?«, fragte Bob ungläubig.
»Allerdings, Bob. Wie gesagt, er ist aus einem anderen Holz geschnitzt als seine Altersgenossen. Glück für uns.«
Wenn er im Labor nicht aufgewacht wäre, wäre er gar nicht erst in diese Situation geraten , dachte Harvey, verkniff sich jedoch erneut eine Bemerkung.
26
Kinshasa Airport, Demokratische Republik Kongo
Clement Nbotou sah auf die Uhr. Die blitzende Rolex hob sich auffällig von seiner dunklen Haut ab. Sie war der einzige Luxus, den er sich im Dschungel gönnte, und das auch nur, weil seine Soldaten sie für eine Fälschung hielten. Wenn sie den leisesten Verdacht geschöpft hätten, dass sie echt sein könnte, hätten sie sie zweifellos längst mit Hilfe einer Machete an sich gebracht. Er führte vielleicht die größte islamistische Miliz im Ost-Kongo, aber Söldner blieben Söldner, und der Versuchung, so einen kostbaren Gegenstand zu besitzen, war schwer zu widerstehen. Außerdem waren sie ein zusammengewürfelter Haufen, bettelarm, und die Hälfte von ihnen war kaum so groß wie die Kalaschnikows, die sie über der Schulter trugen. Eine Berufsarmee auf offenem Gelände würde sie zermalmen. Doch hier im Dschungel, wo ihre Gegner andere Kindersoldaten waren, Zivilisten oder Glücksritter, die eine eigene Coltan-Mine aufmachen wollten, waren sie grausam effektiv.
Von Kinshasa nach Nord-Kivu hatten sie ein Privatflugzeug genommen, eine zweimotorige Cessna, die einer britischen Minengesellschaft gehörte und die er hin und wieder benutzen durfte. Solange die Firma ihre Arbeit ungehindert fortsetzen wollte, musste sie eben gewisse Zugeständnisse machen. In der Hauptstadt war Clement aus geschäftlichen Gründen gewesen; bei diesen Gelegenheiten trug er immer seinen dunkelblauen Armani-Anzug und das cremefarbene Hemd, das er mehrmals am Tag wechselte. Es machte ihm Spaß, die
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