Dunkle Ernte
legen.
Heute waren es keine Regierungsvertreter in eleganten schwarzen Jaguars, die über die anderthalb Kilometer lange Auffahrt stoben, sondern der Mann von Centurion und seine Entourage aus Beratern, Strategen und Planern. Statt in Jaguars kamen sie in einem Konvoi von Cadillacs der SRX -Reihe, acht sprithungrigen Luxus- SUV s, die die gesamte Straßenbreite für sich beanspruchten. Als im Nebel unvermittelt ein Reh auftauchte, stimmten sie ein Hupkonzert an. Das Tier sprang verängstigt von der Straße. Weitere Rehe auf einer nahen Wiese schraken hoch und sahen den vorbeipreschenden Wagen nach.
»Wo zum Henker sind wir?«, fragte Harvey, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen. »Soll das vielleicht eine Safari werden, oder was?«
Der Asphalt ging in Kies über, der unter den Reifen knirschte. Als sie um die letzte anmutige Kurve bogen, war sogar Harvey Newman beeindruckt von dem Anblick, der sich bot. Im Nebel erhob sich ein imposantes elisabethanisches Sandsteinhaus mit eleganten, zweiflügligen Fenstern, die im spärlichen Licht schimmerten.
»Nicht übel«, kommentierte er trocken. Schon hatte er das Telefon in der Hand und tippte Sir Clives Nummer ein. »Wir sind vor Ort, Sir Clive, im Kontrollzentrum. Werden jetzt das Lager errichten. Wann können Sie hier sein?«
Sir Clive saß in seinem Büro und rieb sich die Augen. Es war sieben Uhr morgens. Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Es gab immer noch keine Neuigkeiten von dem Einsatzteam, das Jacks Vater erledigen sollte. Er hatte Stunden damit zugebracht, Satellitenbilder des Ost-Kongo zu studieren und sämtliche Geheimdienstberichte über Clement Nbotou zusammenzutragen, um den Putsch vorzubereiten. Monsieur Blancs Flugzeug sollte inzwischen gelandet sein, sodass Nbotou die zehn Module innerhalb der nächsten Stunde erhalten würde. Sobald es so weit war, würde Sir Clive eine Notsitzung mit den zuständigen Ministern einberufen.
»Gegen Mittag«, erwiderte er. »Hatten Sie einen guten Flug?«
»Fantastisch, danke. Es geht nichts über einen Flug in der eigenen 747.« Harvey steckte das Telefon ein und stieg aus dem Wagen, als ihm aus dem Nebel eine geisterhafte Gestalt in Schwarz entgegenkam.
»Guten Morgen, Sir. Im Salon stehen Tee und eine Auswahl an Gebäck für die Herrschaften bereit.«
Harvey hob erstaunt eine Braue. War es möglich, dass es hier tatsächlich einen leibhaftigen Butler gab?
»Danke«, sagte er und widerstand der Versuchung, James oder Charles hinzuzufügen. »Gibt’s auch Kaffee?«
»Ich bin sicher, das lässt sich einrichten, Sir. Wenn Sie so weit sind, folgen Sie mir bitte in die Eingangshalle. Sie sind im Ostflügel untergebracht. Gewiss wird Ihnen die Unterkunft angemessen geräumig erscheinen.«
Der Mann drehte sich um und ging zum Haus zurück.
Harvey grinste Bob an. »Angemessen geräumig«, echote er. »So einen brauchen wir unbedingt für Los Angeles.«
Bob verzog spöttisch das Gesicht. »Ich wette, der tippt schneller als deine Sekretärin«, bemerkte er leise.
36
Dasselbe Licht, das durch die Fenster der Villa von Batley Hall schien, fiel auch durch die verschmierten hohen Scheiben des alten Backsteingebäudes im Osten von London und malte ein Karomuster auf den staubigen Fußboden. Die alte Industriehalle in Bow sollte in Bälde saniert und in schicke Luxusapartments umgewandelt werden.
Archie Hartman nahm von alledem nichts wahr. Durch die eng um seinen Hals geschnürte Haube erkannte er nur grauschwarze Konturen, während eine Hand ihn brutal an einem Arm durch den Raum zerrte. Ein Fuß in seiner Kniekehle zwang ihn zu Boden.
Die drei Männer waren gut, nein, mehr als gut, echte Profis. Er hatte sie nicht einmal kommen sehen. Das Erste, was er von ihnen mitbekommen hatte, war ein Schlag auf den Hinterkopf gewesen, der ihn zu Boden gestreckt hatte – beinahe wäre er sogar k.o. gegangen. Vor zwanzig Jahren hätte er sich in diesem Moment noch blitzschnell wegrollen, aufstehen und wegrennen können. Doch ein zweiter Schlag hatte dafür gesorgt, dass er nirgends mehr hinging. Zu sich gekommen war er in einem engen, heißen Kofferraum, mit rasenden Kopfschmerzen und so fest gefesselt, dass er sich kaum rühren konnte. Es roch nach Benzin und Abgasen. Der Wagen fuhr nicht besonders schnell und musste alle paar Minuten halten. Wahrscheinlich waren sie auf dem Weg durch die Londoner Innenstadt.
Nach rund einer Stunde hielten sie an, öffneten den Kofferraum und zerrten ihn heraus. Keiner sagte ein Wort. Sie
Weitere Kostenlose Bücher