Dunkle Ernte
glaube sowieso nicht, dass du irgendwas gesehen hast. Du versuchst andauernd dich vor dem General aufzuspielen.«
»Halt’s Maul«, sagte Jumo. »Bloß weil du ein fauler Sack bist.«
Toma stellte sich drohend vor ihm auf, die Hände locker an den Seiten. »Sag das noch mal, und ich schlag dir alle Zähne aus.«
Jumo wich ängstlich zurück. Er war erst zehn und hätte es mit einem Halbwüchsigen niemals aufnehmen können.
»He, Schluss jetzt mit Quatschen. Hört mal«, zischte einer der Jungen, und sein nervöser Tonfall ließ die anderen sofort aufhorchen. Durch die Geräusche des Dschungels, das unablässige Zirpen der Zikaden, die schnarrenden Rufe der Frösche und das Pfeifen des Windes, war noch etwas anderes zu hören, ein Geräusch, das nicht hierhergehörte. Ein ungleichmäßiges Rascheln, begleitet von knackenden Zweigen, das zwischendurch sekundenlang verstummte. Wie schwere Schritte, die sich um Lautlosigkeit bemühten.
»Vielleicht ein Gorilla?«, mutmaßte Toma.
»Hier gibt es keine Gorillas mehr«, erwiderte Jumo und spitzte die Ohren. »Hört doch mal. Was auch immer das ist, es sind mehrere davon. Schnell, hoch in die Bäume!« Er sauste los und versuchte am nächsten Stamm Halt zu finden. Keuchend und stöhnend vor Anstrengung zog er sich an den Lianen hoch bis in die Krone. Unter ihm ertönte Gelächter. Toma war am Boden geblieben und zog immer noch an seiner Kippe, ohne zu merken, dass sie längst ausgegangen war.
»Schaut euch das an, die kleine Dschungelmaus hat Angst vor einem Gorilla«, spottete er kopfschüttelnd. »Ich bleibe lieber unten, vielleicht erwische ich ein bisschen Buschfleisch. Aber du kriegst dann nichts davon ab.«
Die anderen Jungen hatten sich um ihn versammelt und blickten zu Jumo hoch. Am liebsten wären sie alle in die Bäume geklettert, doch sie fürchteten sich vor Toma und seiner Häme.
Toma wandte sich feixend in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. »Putt, putt, putt, komm her, mein Äffchen, braver Junge, bring dem lieben Toma ein bisschen Buschfleisch …« Er schnalzte mit der Zunge und zog etwas aus der Tasche, das er vor sich hielt. Es schimmerte in der Dunkelheit.
Mein Gott, er hat eine Waffe dabei , dachte Jumo kopfschüttelnd. Dass er es wagte, dem General gegenüber so ungehorsam zu sein. Entweder ist er extrem ängstlich oder extrem dumm .
Das Geräusch kam näher. »Komm, mein Junge, hierher, die Soldaten haben eine kleine Überraschung für dich, du kommst nämlich auf ihre Speisekarte …« Im Geiste sah er schon die Gesichter der anderen vor sich, wenn er mit so einer Trophäe heimkam. Mit einem Gorilla könnten sie für den Rest der Woche in Fleisch schwelgen. Außerdem würden ihn die älteren Jungs respektieren, und er dürfte endlich beim Fußball mitmachen. »Komm schon … trau dich«, lockte er.
Die Geräusche verstummten. Die Jungen blickten einander unsicher an und sahen dann zu Toma. Sie wandten sich in die Richtung, in die seine Waffe zeigte, in die bedrohliche, unergründliche Düsternis des Dschungels. Auf Tomas Stirn erschien ein stecknadelkopfgroßer, rot leuchtender Punkt. Er selbst bemerkte davon nichts, aber die anderen sahen es und begannen sich so leise wie möglich von ihm zu entfernen.
»He, wo wollt ihr hin, was soll …?« Er beendete den Satz nicht.
Ein rätselhaftes Zischen ertönte, gefolgt von Rauschen und Krachen. Dann explodierte Toma vor ihren Augen als grellweiß leuchtender Ball, und sein Schrei hallte noch durch die Nacht, nachdem sein Körper längst zu einem schwarzen Klumpen geschrumpft war. Vor Entsetzen wie gelähmt sahen die Jungen zu. Sie kannten alle möglichen Waffen, hatten oft mit angesehen, wie Gliedmaßen von Rümpfen getrennt wurden, aber sie hatten dem angreifenden Feind immer ins Gesicht blicken können.
Das Zischen baute sich erneut auf. Diesmal reagierten die Kinder panisch und rannten um ihr Leben, doch es war zu spät. Ed Garner hatte beschlossen, die Funktionen der neuen Waffe zu testen. Er erhöhte den Streuwinkel des Plasmaimpulses, sodass in einem Durchmesser von fünfundzwanzig Meter der Dschungel um sie herum in Flammen aufging, eine Momentaufnahme in gleißendem Licht, wie ein Standbild aus einem Schwarzweißfilm, die Körper der Jungen als fliehende Schatten. Dann herrschte vollkommene Dunkelheit.
Links von ihm war ein Wimmern zu hören. Er schaltete auf Nachtsicht um. Hinter einem Baumstamm zu seiner Linken regten sich zwei Silhouetten. Kinder , dachte er angewidert,
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