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Dunkle Ernte

Dunkle Ernte

Titel: Dunkle Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mockler
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ertönte Sir Clives Stimme aus den Ohrstöpseln, in einem Tonfall, der nicht den geringsten Zweifel zuließ.
    »Jawohl«, antwortete Oliver knapp und etwas außer Atem.
    »Sind Sie gut getarnt? Können Sie das Camp im Auge behalten?«
    Oliver wischte sich den Schweiß von der Stirn, ehe er antwortete. Vorgesetzte hatten immer ganz schön hohe Ansprüche. »Habe alles im Blick, Sir«, erwiderte er, löste das Zielfernrohr von seinem Gewehr und benutzte es als Fernglas.
    »Was sehen Sie?«
    Oliver überflog die Szenerie. Es war ein schlimmer Anblick. Das Gebäude lag in Trümmern, der Boden ringsherum war rötlich braun gefärbt, als wäre das Gebäude selbst beim Einstürzen ausgeblutet.
    Die zerquetschten Leichen zweier Männer aus seinem Team waren aus dem Schutt gezerrt worden. Soldaten tanzten um sie herum, schlugen auf leeren Ölfässern den Takt dazu und reichten Plastikkanister mit Jungle Brew herum. Die panische Angst, die sie während des Gemetzels empfunden hatten, war in hemmungslose Euphorie umgeschlagen.
    »Eine Art Siegesfeier«, gab er Sir Clive durch. Ihm fehlten sowohl der Wille als auch die Worte, um genauer zu beschreiben, was er sah. »Sie singen und schreien irgendwas … klingt wie Nbotous Name … Es kommen immer mehr dazu.«
    Lachend und gestikulierend kamen zwei Kinder von der Straße aus ins Camp gerannt und riefen ihre Kameraden zusammen. Im Schlepptau hatten sie einen Jungen mit einem Bambusstab, auf den der Kopf eines Soldaten aus Oliver Denbighs Team mitsamt dem schwarzen Kevlarhelm gespießt war. Sehnen baumelten aus dem abgetrennten Hals. Über einem Querholz hing die Jacke, sodass das Ganze aussah wie eine schaurige Vogelscheuche. Oliver konnte nicht erkennen, wer es war. Der Junge, der das Gebilde trug, hielt es mit stolzer Miene hoch, damit die Freunde seine Bastelarbeit bewundern konnten. Es war wie Karneval. Sie schrien begeistert auf, als sie es sahen, manche hielten ihre Waffen in die Richtung und ballerten los.
    »Denbigh, sind Sie noch da? Denbigh? Bleiben Sie dran. Was passiert da?«
    Oliver war nicht sicher, wie lange Sir Clive schon auf ihn einredete. Die Stimme in seinem Ohr war in dem grausigen, lärmenden Schauspiel, das sich ihm bot, vollkommen untergegangen.
    »Alles in Ordnung, Sir.« Er sah sich das Gesicht näher an, das auf dem Pfahl steckte, vom Schmerz verzerrt zu einer Grimasse, die auch der Tod nicht zu entspannen vermocht hatte. War es Adam? Mick? Gavin McCallister? Der Impuls, das Feuer zu eröffnen, ihre Siegesfeier zu beenden und sich vom Baum herabzuschwingen, um gnadenlos Rache zu üben, war fast unwiderstehlich.
    »Denbigh, bleiben Sie dran. Hören Sie mich? Bleiben … Sie … dran.« Sir Clive sprach langsam und deutlich. Er hatte solche Dinge schon öfter erlebt. Selbst die besten Männer waren nicht gegen Schockzustände gefeit, gegen das Grauen, Tod und Sterben mit ansehen zu müssen. Es musste ein entsetzlicher Anblick sein, wenn sich ein routinierter Elitekämpfer aus der Realität in den schützenden Kokon zurückzog, den psychische Traumata um das Gehirn webten. Herausholen konnte er den Mann nicht, also musste er anders versuchen, ihn bei der Stange und handlungsfähig zu halten.
    »Was sehen Sie noch?«, fragte er.
    Olivers Blick wanderte über die Straße. Eine Gruppe von Männern marschierte diszipliniert in ordentlichen Reihen. Nbotou ging in ihrer Mitte und nahm mit erhobenen Händen die Huldigungen seiner Gefolgschaft entgegen.
    »Der General … der General kommt.«
    Sir Clive setzte sich abrupt auf und umklammerte den Hörer fester. Das war die Chance, den Mann doch noch zu erledigen. Er musste dafür sorgen, dass Denbigh am Drücker blieb. »Okay, Denbigh. Jetzt ist Ihre Gelegenheit, alles zum Guten zu wenden, all den schlimmen Dingen ein Ende zu bereiten. Verstehen Sie?«, sagte er ruhig und beschwichtigend, als spräche er mit einem verstörten Kind.
    Oliver nickte, sagte aber nichts. Aus irgendeinem Grund erschien es ihm vollkommen logisch, dass in seinem Ohr eine fremde Stimme erklang.
    »Montieren Sie Ihr Zielfernrohr. Nehmen Sie den Mann im Zentrum der Gruppe ins Visier.«
    Oliver befestigte das Zielfernrohr auf seinem Gewehr und spähte hindurch. Der Kopf des Generals erschien im Fadenkreuz. Breit grinsend hielt er die Arme hoch und boxte mit den Fäusten triumphierend in die Luft.
    »Sobald Sie frei zum Schuss kommen, drücken Sie ab und schalten ihn aus. Dann wird alles gut werden.« Sir Clive flüsterte jetzt fast beschwörend

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