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Dunkle Flut

Dunkle Flut

Titel: Dunkle Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul S. Kemp
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begonnen, sich selbst zu belügen? Woher sollte sie das wissen?
    Sie war so lange allein gewesen, treibend im Nichts, existierend am Grund eines tiefen Lochs, aus dem sie auf das Universum hinausblicken konnte, ohne jemals etwas davon selbst zu erleben. Ihr Käfig verdammte sie zu einem Leben in Einsamkeit, als Beobachterin, niemals als Beteiligte.
    Sie wollte ihrer Einsamkeit ein Ende machen, das Universum erleben, das sie im Laufe der Jahrtausende indirekt gefühlt hatte. Sie wollte dem Zorn Ausdruck verleihen, den sie nun schon so lange hegte – und Seherin würde ihr die Möglichkeit dazu verschaffen.
    Soldats Hände am Steuerhebel zitterten, als das Versorgungsschiff den Hyperraum verließ. Er versuchte, das Zittern vor Seherin zu verbergen. Er hoffte auf – ja, erwartete insgeheim sogar – Schönheit, das Licht der Erkenntnis, Mutter und einen Sinn . Immerhin hatte Seherin bislang mit allem recht behalten, und ihre Visionen hatten sie hierhergeführt. Und sein Lebenssinn, dachte er – glaubte er –, hatte darin bestanden, sie herzubringen.
    Im Cockpit war es still, als der blaue Wirbel der tiefen Dunkelheit des gewöhnlichen Weltraums Platz machte. Soldat hielt den Atem an – hoffnungsvoll, nachdenklich, verzweifelt.
    In dem Moment, in dem sie in den normalen Raum eintraten, begann ein Alarmsignal zu heulen. Der plötzliche Lärmausbruch erschreckte ihn, und er brauchte einen Moment, um darauf zu reagieren. Die Anzeige zeigte ein System, das schier in Strahlung badete.
    Anmut hielt sich wimmernd die Ohren zu und schaukelte auf dem Sitz vor und zurück. Seherin schien den Krach kaum wahrzunehmen. Sie blickte einfach auf das System hinaus, als würde seine dunkle Weite Wahrheit bergen.
    Soldat justierte rasch die Schilde, um auf die dem System innewohnende Strahlung zu reagieren. Der Alarm verstummte, und er überprüfte die Sensoren. »Die Dosis war gering«, sagte er. »Keine Schäden.«
    Seherin nickte geistesabwesend. Sie schwitzte, die Wangen gerötet, ihre dunklen Augen tief in den Gruben ihrer Augenhöhlen eingesunken.
    »Alles kommt in Ordnung«, sagte Soldat über die Schulter zu Anmut. »Alles ist in Ordnung.«
    Beim Klang seiner Stimme öffnete sie die Augen und hörte auf zu wimmern. Sie wirkte winzig in ihrem Sitz, zerbrechlich. Es freute ihn zu sehen, dass es unter ihrer Haut nicht mehr wimmelte. Fürs Erste zeigten die Medikamente Wirkung.
    Er wandte sich wieder den Instrumenten zu. Sie hatten den Hyperraum am Rande des Systems verlassen. Durch den Transparistahl des Cockpits konnte er den fernen Pulsar erkennen, eine dunkle Kugel, die inmitten eines Netzwerks farbenfroher Bögen und Wirbel ruhte, das sich von dem Stern ausgehend in wunderschönen Schleiern Hunderttausende von Kilometern zu jeder Seite erstreckte. Er vermutete, dass die Lichtshow vom Wechselspiel des elektromagnetischen Felds des Pulsars mit irgendeiner atmosphärischen Energie im System verursacht wurde. In Simulationen hatte er noch nie etwas Derartiges gesehen.
    Endlich hatten sie Schönheit gefunden. Jetzt brauchten sie eine Offenbarung.
    »Hübsch«, sagte Anmut, die sich in ihrem Sitz aufrichtete.
    Soldat nickte, erfreut, das Staunen in ihrer Stimme zu hören.
    Ein dichter Asteroidengürtel umringte den Pulsar, sichtbar als unregelmäßige schwarze Linie vor dem Hintergrundschein des inneren Systems. Die Sensoren zeigten, dass viele davon metallisch waren, aus einer seltsamen Legierung, die der Scanner nicht identifizieren konnte. Er versuchte, den Scan besser hinzubekommen, aber das Metall widersetzte sich einer Identifizierung.
    Zwei kleine Planeten, karg und felsig, kreisten tief im System in der Umlaufbahn des Pulsars, nicht weit vom Versorgungsschiff entfernt. Beide waren einer gebundenen Rotation unterworfen. Es war unmöglich, dass einer von ihnen bewohnt war.
    Er überprüfte den Scanner von Neuem, und dann noch mal, auf der Suche nach irgendetwas, das ihm womöglich entgangen war. Er fand nichts, also ging er noch einmal die Anzeigewerte durch. Seine Hände bewegten sich jetzt schneller über die Kontrollkonsole, seine Frustration wuchs.
    Wie war es möglich, dass hier nichts war? Sie waren so weit gekommen, hatten so viel dafür getan, hatten zu viel getan, dass hier jetzt nichts war. Leere gähnte in seinem Innern, Verzweiflung, ein Gefühl, das der Leere nicht unähnlich war, die er empfand, als der Umbaraner ihn beinahe von der Macht getrennt hatte – nur mit der Ausnahme, dass er jetzt von der Hoffnung

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