Dunkle Gebete
noch tiefere Furchen. »Das ist totaler Quatsch«, beteuerte sie. »Jemand hat Charlotte Benn angerufen? Und behauptet, er wäre ich?«
Ich wusste, dass Emma die Wahrheit sagte. Trotzdem musste ich nachhaken.
»Wollen Sie damit sagen, Sie haben nicht versucht, mit Charlotte Benn zu sprechen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht. Vielleicht hätte ich’s ja getan, wenn ich darauf gekommen wäre. Bin ich aber nicht. Sagen Sie schon, was passiert ist.«
Einen Moment lang fiel es mir schwer zu sprechen. »Ich bin immer noch dran mit Fragen«, wehrte ich ab, nachdem ich mich zusammengerissen hatte. »Ich brauche Ihr Handy. Und alles, was Sie an Telefonen zu Hause haben. Ich muss nachprüfen, dass damit nicht bei den Benns angerufen wurde.«
Emma fuhr auf ihrem Stuhl zurück. »Das soll wohl ein Witz sein! Schon wieder? Als hätte ich nichts anderes zu tun!«
»An Ihrer Stelle«, entgegnete ich, »würde ich versuchen, mich möglichst keiner Gefahr auszusetzen. Kann ich bitte das Handy haben?«
Ich steckte Emmas Handy in eine Beweistüte und stand auf. »Emma«, sagte ich und drehte mich in der Tür noch einmal um. Sie blickte auf. »Bitte seien Sie vorsichtig«, sagte ich im Hinausgehen.
61
Als ich wieder oben im Einsatzraum ankam, war es dort ruhiger. Mehrere Leute waren weg; von Tulloch, Anderson oder Stenning war nichts zu sehen. Joesbury telefonierte immer noch.
»Der Boss hat angeordnet, dass die fünf Jungen hergeschafft werden«, erzählte Mizon mir. »Die wohnen nicht alle in London, es wird also eine Weile dauern. Und wir haben Karen Curtis ausfindig gemacht, Sie wissen schon, die Mutter von Thomas, dem Fünften aus der Rudermannschaft. Sie wohnt in Ealing. Stenning ist gerade mit einem von den neuen Rekruten auf dem Weg dahin.«
»Und wo ist der Boss?«, fragte ich.
»Die ist mit dem Sergeant noch bei Detective Superintendent Weaver.«
»Ich kann mir das immer noch nicht vorstellen«, verkündete einer der älteren Sergeants, der niemals leise sprach und es jetzt anscheinend darauf anlegte, dass alle im Raum ihn hörten. »Zwei kleine Walisermädels kriegen’s ein bisschen heftiger besorgt, als sie gedacht haben, und zehn Jahre später fängt jemand an, die Mütter aufzuschlitzen? Das muss ein Zufall sein.«
Niemand antwortete ihm. Drei tote Frauen schienen für die meisten Anwesenden zu viel Zufall zu sein. Joesbury hing wieder am Telefon, doch er war zu weit entfernt, als dass ich hätte verstehen können, was er sagte.
»Diese Typen haben sich geschämt«, meinte Mizon. »Keiner von denen wollte darüber reden. Die haben von Anfang an geblockt. Ich wette, die haben bei der Polizei von Cardiff ganz schön die Muskeln spielen lassen.«
Wir hörten Schritte und sahen Tulloch und Anderson den Flur herunterkommen. Die Tür öffnete sich, und sie traten ein.
»Jemand muss nach Cardiff fahren«, sagte Tulloch. »Und sich deren Version anhören. Wir müssen wissen, wer diese Mädchen waren.«
»Ihr Nachname war Llewellyn«, verkündete Joesbury, während wir uns alle nach der Zimmerecke umdrehten. Er hatte den Hörer aufgelegt. »Sie waren Schwestern«, fuhr er fort. »Die Ältere war gerade sechzehn geworden, die Jüngere war vierzehn. Ich habe mit dem Archiv von Cardiff Central gesprochen. Viel konnte mir die Frau dort nicht erzählen, nur dass Anzeige erstattet und ermittelt wurde. Zwei Tage später haben die Mädchen ihre Anzeige zurückgezogen.«
»Was man ja vielleicht auch erwarten würde, wenn die Anzeige unberechtigt war«, bemerkte Anderson.
»Oder wenn Leute, vor denen sie Angst hatten, genug Druck gemacht haben«, gab Mizon zurück.
»Unser Mörder kann keine Frau sein«, beharrte Anderson. »Frauen vergewaltigen nicht, und sie schneiden keine anderen Frauen in Stücke. Es sind immer Männer, die mit ’nem Messer in der Hand auf andere losgehen.«
Von der anderen Seite des Raumes her richteten sich türkisblaue Augen auf mich.
»Da gibt’s noch ein paar andere Dinge, die Sie alle wissen sollten«, sagte Joesbury, als er sich endlich gestattete zu blinzeln. »Die angebliche Vergewaltigung, von der wir gerade gehört haben, hat am Samstag, dem 31. August, stattgefunden. Am Tag von Jack the Rippers erstem Mord. Und an dem Tag, als jemand mit einem Messer auf Geraldine Jones losgegangen ist.«
»Was noch?«, fragte Tulloch.
»Das jüngere Mädchen hieß Cathy. Die Ältere hieß Victoria.«
Er wartete, während wir über seine Worte nachdachten.
Tulloch schürzte die
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