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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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durch den Türspalt sehen konnte. Die alte Dame trat einen Schritt vor, und ihre Augen wurden schmal.
    »Mrs. Richardson, wir versuchen, Ihre Tochter Karen ausfindig zu machen«, sagte Mizon. »Wir hatten gehofft, wir könnten Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    Eine Schmeißfliege flog aus dem Spalt zwischen Tür und Rahmen hervor und knallte gegen meine Stirn.
    »Sie ist nicht da«, sagte die alte Dame.
    »Können wir uns kurz mit Ihnen unterhalten?«, fragte Mizon.
    »Montag, Mittwoch und Freitag, um fünf Uhr. Da kommt sie immer.«
    Ich rang mir ein Lächeln ab. »Mrs. Richardson, wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte ich. »Wäre es möglich, dass wir reinkommen?«
    Die Frau verschwand, und gleich darauf wurde die Tür geöffnet.
    »Machen Sie sie hinter sich zu«, wies sie uns an, während sie den Flur wieder hinunterging. »Und schauen Sie nach, ob sie auch abgesperrt ist.«
    Der Boden des Flurs war mit schwarz-weißen Fliesen ausgelegt, die ebenso alt aussahen wie das Haus. Die Wände hingen voller Bilder, Zierteller und Spiegel. Eine Holztreppe führte in den nächsten Stock hinauf.
    Gut roch es in dem Haus nicht. Es war kein besonders starker Geruch, aber er war eklig. Klamm. Wie Müll, der zu lange in der Tonne liegt. Als wäre irgendetwas schlecht geworden. Mizon sah mich an und rümpfte die Nase, während wir Mrs. Richardson den Flur hinunterfolgten. Als sie eine Tür aufstieß, konnten wir das leise Summen von Stubenfliegen hören.
    Wir standen in einem Wohnzimmer, groß, aber so mit Möbeln vollgestopft, dass es beengt wirkte. Auf dem Kaminsims und auf dem Piano in der Ecke standen jede Menge Familienfotos. Ich entdeckte eine tote Fliege in Mrs. Richardsons silberweißem Haar und sah ein paar weitere um ein großes Fenster herumsurren.
    »Möchten Sie eine Tasse Tee?«, erkundigte sich die alte Dame, nachdem wir alle in Sesseln Platz genommen hatten.
    Neben mir schüttelte Mizon den Kopf. »Nein, danke«, sagte ich. »Wir werden Sie nicht lange aufhalten. Darf ich fragen, wann Sie Karen zum letzten Mal gesehen haben?«
    »Montagabend«, antwortete Mrs. Richardson. »Sie kommt um fünf, kocht mir Abendessen und hilft mir beim Baden. Sie geht ungefähr um halb acht. Gerade, wenn Coronation Street anfängt.«
    »Dann erwarten Sie sie also heute Abend?«, fragte ich. Heute war Mittwoch.
    Mrs. Richardson nickte. »Sie kommt um fünf«, sagte sie. »Direkt von der Arbeit.«
    Ich warf einen schnellen Blick auf meine Armbanduhr. Bis fünf war es nicht mehr lange hin, aber Karen Curtis war die letzten beiden Tage nicht zur Arbeit gegangen.
    »Mrs. Richardson, wie ist sie Ihnen am Montag vorgekommen?«, fragte Mizon. »War sie wie immer?«
    Evadne Richardson nickte. »Genau wie immer«, bestätigte sie. »Thomas hatte sie angerufen. Hat gesagt, er hätte eine neue Freundin.«
    Sie stemmte sich hoch und ging zum Kamin hinüber. Ihre Hand hob sich und schien die Bilderrahmen abzuzählen, die auf dem Sims aufgereiht waren. Beim fünften hielt sie an. »Das ist mein Enkel«, verkündete sie und nahm das Bild eines jungen Mannes in traditioneller Schulabschluss-Robe herunter. »Thomas.« Sie hielt uns das Foto hin. Ich nahm es und reichte es rasch an Mizon weiter, wobei ich einen flüchtigen Blick auf einen dunkelhaarigen Jungen erhaschte. Er war kleiner und zierlicher als die anderen jungen Männer, die wir kennengelernt hatten. Der Steuermann des Ruderteams.
    »Hat sie irgendetwas davon gesagt, dass sie wegfahren wollte?«, erkundigte ich mich.
    Evadne sah mich verwirrt an und schüttelte den Kopf. »Sie fährt nicht weg«, sagte sie. »Nicht ohne dafür zu sorgen, dass eine Betreuerin kommt und mir hilft. Ich bekomme jeden Tag Besuch von einer Krankenpflegerin«, erklärte sie. »Bloß für zehn Minuten. Die passen auf, dass ich die richtigen Tabletten nehme, aber die kochen oder putzen nicht.«
    »Hatte es den Anschein, als würde sie sich wegen irgendetwas Sorgen machen?«, wollte Mizon wissen.
    »Nein. Um was sollte sie sich denn Sorgen machen?«
    »Hoffentlich um gar nichts«, antwortete Mizon. »Ich möchte Sie nicht beunruhigen, aber sie war heute nicht bei der Arbeit. Fällt Ihnen irgendetwas ein, wo sie sein könnte?«
    Die alte Dame war abermals auf den Beinen. »Am besten, ich rufe sie einfach mal an«, verkündete sie.
    Mizon und ich sahen zu, wie Evadne zum Telefon ging, den Hörer abhob, eine Nummer wählte und wartete, bis der Anrufbeantworter ihrer Tochter sich meldete. Ich sah, wie Mizon

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