Dunkle Gebete
wandte sich an mich. »Dana sagt, Sie haben ein gutes Gespür dafür, was hier abgeht. Glauben Sie, es ist Victoria Llewellyn?«
Ein bisschen überrascht, so aus der Gruppe herausgepickt zu werden, nickte ich. »Ich denke, sie muss es sein«, antwortete ich. »Das, was jetzt passiert, muss etwas mit der Vergewaltigung zu tun haben. Ihre Schwester und ihre Mutter sind beide tot. Soweit wir wissen, hat sie keine weiteren Angehörigen. Sie ist die Einzige, die noch übrig ist.«
»Und sie nimmt sich die Mütter vor, weil sie glaubt, das sei die beste Methode, es den Jungen heimzuzahlen«, ergänzte Helen.
»Na ja, die Mütter geben ein einfacheres Ziel ab«, meinte ich. »Diese Jungen sind jetzt Riesenkerle, die sehen alle aus, als könnten sie gut auf sich aufpassen. Bei den Müttern ist das bestimmt etwas ganz anderes.«
In der Tischrunde nickten Stenning und Anderson zustimmend, Mizon beobachtete mich wachsam, und Danas Blicke wanderten zwischen mir und Helen hin und her.
»Und, ja, ich glaube, wenn sie auf grausame Rache aus ist, dann macht sie es richtig«, fuhr ich fort. »Wenn diese jungen Männer wissen, dass das, was sie vor elf Jahren getan haben, zum Tod ihrer Mütter geführt hat und dass sie auf so grauenhafte Weise umgekommen sind – ich glaube, das wird sie fertigmachen.«
»Und die Ripper-Nummer war nur ein Ablenkungsmanöver?«, fragte Helen an mich gewandt.
Das war der Punkt, an dem ich vorsichtig sein musste. »Ich glaube schon«, sagte ich. »Ich glaube, sie wollte, dass wir von Anfang an den Ripper im Kopf hatten. Und außerdem hätte sich ein echter Nachahmungstäter genauer an die historischen Abläufe gehalten, hätte uns nach und nach darauf kommen lassen.«
Helens Blick hielt den meinen fest.
»Indem sie einer Journalistin einen Lieber-Boss- Brief geschickt hat, hat sie dafür gesorgt, dass in London Ripper-Fieber ausbricht«, fuhr ich fort. »Alle haben die Tage bis zum nächsten Mord gezählt.«
»Kann man wohl sagen. Am 8. September ging’s in Whitechapel zu wie am ersten Sommerschlussverkaufstag bei Harrods.« Das kam von Anderson.
»Sie hat mit uns gespielt«, erklärte ich. »Sie hat den ganzen 8. September verstreichen lassen, ohne dass etwas passiert ist, bis zum Abend, als sie einen vorgetäuschten Notruf inszeniert hat, um das Team nach Southwark rauszulocken, und mich dann zu diesem Schwimmbad gelotst hat, mithilfe von Emma Bostons Handy.«
»Wo Sie den Uterus finden sollten«, bemerkte Helen. »Sehr nett. Und am nächsten Tag schickt sie Sie in den Victoria Park, damit Sie den Rest von Amanda Weston finden. Sie hat’s irgendwie ein bisschen mit Ihnen, nicht wahr?«
»Ihr zweites Opfer hat sie sehr sorgfältig ausgesucht«, warf Tulloch ein. »Indem sie sich die einzige Mutter vorgenommen hat, die aus London weggezogen ist, ließ sich nicht so schnell eine Verbindung zu dem ersten Mordopfer herstellen. Es hat Tage gedauert, bis uns klar geworden ist, dass die Schule der Schlüssel zu dem Ganzen ist.«
»Hört sich nach jemandem an, der weiß, wie die Polizei vorgeht«, bemerkte Helen.
Die anderen verstummten einen Moment, während sie darüber nachdachten. Ich hielt den Blick gesenkt.
»Was glauben Sie, wie hat sie Amanda Weston nach London gekriegt?« Helen sprach immer noch mit mir.
»Ich weiß nicht, ob wir das jemals erfahren werden«, erwiderte ich und blickte kurz auf. »Aber Sam Cooper, ihr Komplize, hat eine Schreckschusspistole benutzt. Die Dinger können ganz schön überzeugend wirken, besonders, wenn man sich mit Waffen nicht auskennt.«
»Und nachdem die zweite Leiche entdeckt wurde, war die Jagd auf den Ripper eröffnet«, meinte Helen.
»Dafür hat sie gesorgt«, pflichtete ich ihr bei. »Vor hundert Jahren hat die Presse die polizeilichen Ermittlungen ernsthaft behindert. Die Reporter haben sich als Erste an die Zeugen rangemacht, sie haben sie bestochen, sie haben Storys veröffentlicht, die frei erfunden waren. Die Polizei hat fast ebenso viel Zeit darauf verwendet, sich mit den Auswirkungen der Pressespekulationen herumzuschlagen, wie Jagd nach dem Ripper zu machen. Ich glaube, unsere Täterin wollte, dass das bei diesen Ermittlungen auch passiert.«
»Aber die ganze öffentliche Aufmerksamkeit hat ihr doch auch geschadet«, wandte Mizon ein. »Jede Mutter, die irgendetwas mit der Schule zu tun hatte, war auf Alarmstufe Rot.«
»Ja, aber dafür hatte sie auch einen Plan«, entgegnete ich. »Bevor wir das mit der Schule richtig kapiert
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