Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
Vom Netzwerk:
erzähln.«
    »Erzählen Sie uns, wie es passiert ist«, sagte ich. »Wie hat sich das Boot von seinem Anlegeplatz losgerissen?«
    »Das Tau is durchgeschnitten worden«, antwortete er. »Deswegen war ich oben auf Deck. Dieses Mädchen, Cathy, die hat mich gerufen. Jemand hat das Tau gekappt, und wir sind abgetrieben.«
    Ich konnte spüren, wie Tulloch und Mizon einen Blick wechselten, und sah Tye weiter unverwandt an.
    »Cathy?«, fragte ich. »Cathy und wie weiter?«
    Er schüttelte den Kopf. »Einfach nur Cathy. Nachnamen ham wir nich benutzt, die meisten von uns nich mal echte Vornamen.«
    »Weiter«, forderte ich ihn auf.
    »Da warn wir schon ’n ganzes Stück vom Ufer weg. Das is echt ’ne Scheißsituation, wissen Sie, so auf’m Fluss zu treiben, besonders nachts. Wir ham gewusst, dass wir echt ’n Problem ham. Dann hat Cathy gesagt, es brennt.«
    »Auf dem Boot?«
    Er nickte. »Ich hab’s nich gesehn, aber sie is nach vorn gerannt. Dann gab’s diesen Riesenblitz, und ’n paar Sekunden später war ich unter Wasser. Muss reingefallen sein.«
    »Sind Sie gerettet worden?« Ich erinnerte mich an den Scheinwerfer, der von dem Schlauchboot auf mich herabgeleuchtet hatte, an den Augenblick, als ich gewusst hatte, dass ich am Leben bleiben würde.
    Wieder schüttelte er den Kopf. »Nein, ich hab’s geschafft, zu so ’nem Steg zu schwimmen. Hab einen von den Holzpfählen zu fassen gekriegt und bin ans Ufer.«
    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Tulloch dem anderen Tisch mit einer Geste ein Signal gab.
    »Sie hatten großes Glück«, stellte ich fest. »Tye, wie viele Leute waren auf dem Boot?«
    Einen Augenblick lang sah Tye verunsichert aus. Seine Brauen zogen sich zusammen, als versuche er, sich zu erinnern. Dann schüttelte er den Kopf. »Wir warn zu sechst«, sagte er. »Fünf sind draufgegangen, und ich hab überlebt.«
    Ich nickte. »Ja, das stand in dem Untersuchungsbericht«, erwiderte ich. »Drei Männer, Sie eingeschlossen, und drei Frauen, einschließlich Catherine Llewellyn. Richtig?«
    Er zuckte die Schultern; das stimmte wohl. Jemand reichte Tulloch über meine Schulter hinweg ein Foto. Sie legte es vor Tye auf den Tisch. Es war der Schnappschuss von den Llewellyn-Schwestern.
    »Erkennen Sie eins von diesen Mädchen wieder?«, fragte sie ihn.
    Er zeigte auf die Jüngere. »Das is sie«, sagte er. »Das is Cathy.«
    Ich sah, wie Tyes Augen zu schimmern begannen, als er auf das Foto hinabblickte. »War sie Ihre Freundin?«, erkundigte ich mich und spürte, wie jemand vom anderen Tisch herüberkam.
    Tye schüttelte den Kopf.
    »Aber Sie hätten sie gern als Freundin gehabt?«, fragte ich. Joesbury war an unseren Tisch gekommen. Er hockte sich hin, so dass sein Kopf auf gleicher Höhe mit unseren war.
    Tye betrachtete das Foto von Neuem. Er schaute zu mir auf, dann senkte er den Blick wieder und schüttelte abermals den Kopf.
    »Als Sie Cathy kannten«, fragte Joesbury, »hatten Sie da jemals den Eindruck, dass sie gedacht hat, jemand würde nach ihr suchen?«
    »Irgendwer sucht nach uns allen«, antwortete Tye. »Die Bullen, die vom Sozialdienst, irgendwelche Familien, die ’n Nein nich akzepiern können. Arschlöcher, die gedacht ham, wir schulden ihnen Kohle. Niemand lässt uns einfach in Frieden.«
    »Aber speziell Cathy? Hat irgendjemand nach ihr gesucht?«
    Tyler schaute kurz auf seinen Teller, dann nickte er.
    »Hat sie gesagt, wer?«, wollte Tulloch wissen.
    Er schüttelte den Kopf.
    Joesbury griff in die Tasche und zog zwei Zwanzig-Pfund-Noten heraus. Er legte sie auf den Tisch und seine Hand darüber. »Für Bockmist rücke ich kein Geld raus, Tye«, sagte er, »also verschwende deine Zeit nicht damit. Erzähl mir was Brauchbares, und ich lasse die hier liegen, wenn ich gehe.«
    Tyes Augen waren fest auf das Geld gerichtet, rechneten aus, was er damit kaufen könnte, und irgendwie glaubte ich nicht, dass er einen Ausflug zum nächsten Supermarkt plante, um sich mit Salat und Bio-Joghurt einzudecken.
    »Hatte sie Angst?«, fragte Joesbury.
    Tye zuckte die Achseln, rang sich ein schwaches, halbherziges Nicken ab, zuckte noch einmal die Achseln. »Ich weiß, dass sie nicht gefunden werden wollte«, antwortete er. »Sie wollte nie auf die Nordseite vom Fluss rüber. Ich glaub, da war dieser Kerl – also, sie hat nie gesagt, dass es ’n Kerl war, das hab ich bloß so angenommen –, ich glaub, der war da drüben. Ich glaub, sie hat gewusst, dass er auf der Nordseite war, und deswegen wollt sie

Weitere Kostenlose Bücher