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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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Mülltonne geworfen hatten.
    Ich schlenkerte die Finger durch die Luft, um den Geruch von Fett und Essig daran loszuwerden. »Um ehrlich zu sein, ich finde es gerade schwierig, weit über diesen Fall hinauszuplanen«, meinte ich, was ganz sicher der Wahrheit entsprach, wenn auch nicht der ganzen Wahrheit. Für mich kam nach diesem Fall nichts.
    Wir gingen weiter, und bald schritten wir auf das Hotel zu. Schließlich ließen wir den Kieselpfad hinter uns und traten auf den glatten Weg aus roten Ziegeln, der uns zum Vordereingang bringen würde. Er wand sich um eine weitere Skulptur herum, diesmal ein großer Backsteinkreis, der mit großen Felsen und gusseisernen Möwen verziert war. Joesbury blieb stehen und drehte sich zu mir um.
    »Wir sollten uns mal unterhalten«, sagte er. »Wenn das hier alles vorbei ist. Darüber, wo’s für Sie als Nächstes hingeht.«
    Nicht weit von uns waren draußen vor dem Hotel Leute zugange. Ein Pärchen stieg in ein Taxi. Zwei Frauen in mittleren Jahren rauchten und bibberten. Ein Mann marschierte auf und ab und quasselte lautstark auf Walisisch in sein Handy.
    »Bieten Sie mir eine Karriereberatung an?«, fragte ich.
    »Sagen wir einfach, ich habe da ein paar Ideen«, erwiderte er. »Dana übrigens auch. Wenn sie diesen Fall übersteht, wird sie Sie fürs MIT haben wollen.«
    Der Wind frischte auf. Mein Haar wehte mir übers Gesicht, und ich hob die Hand, um es zurückzustreichen. Joesburys Hand war zuerst da, streifte mein rechtes Ohr. Ich entzog mich ihm und drehte mich zur Bucht um.
    »Was habe ich denn Falsches gesagt?«, wollte er wissen.
    »Gar nichts.« An der Skulptur vor uns waren ein paar von den Eisenmöwen abgebrochen. Nur ihre Füße waren übrig und klammerten sich an die Felsen.
    »Und wieso sind Sie dann beleidigt?«
    Ich schluckte heftig. Sowohl er als auch Tulloch dachten, ich hätte eine Zukunft bei der Londoner Polizei. Scheiße, ich durfte nicht weinen.
    »Lacey Flint, Sie sind ein komisches Mädchen.« Er war näher getreten.
    »Was Sie nicht sagen.«
    »Ich glaube, Sie haben ein Problem«, stellte er fest. Ein Finger streifte meinen Jackenärmel, und ich konnte seinen Atem seitlich an meinem Gesicht fühlen.
    »Da kann ich nicht widersprechen«, antwortete ich halblaut.
    Jetzt hielt er mein Haar fest, wickelte es sich um die Hand, zog mich sanft wieder zu ihm zurück. »Und wie kommt es dann also, dass ich jeden Morgen, wenn ich aufwache«, fragte er, als ich seine kalten Finger im Nacken spürte, »zuallererst an dich denke?«

81
    13. September, zehn Jahre zuvor
    Als Victoria Llewellyn zurückkommt, ist es bereits dunkel. Sie klettert über den Zaun und huscht über das verlassene Gelände. Vor dem Metalltor sucht sie ihre Taschenlampe hervor, dann schlüpft sie hinein. Der Tunnel ist dunkel und feucht, aber billige Laternen erhellen den Weg. Sie steigt Stufen empor und sucht sich, noch immer in fast völliger Finsternis, einen Weg um improvisierte Lager und hingestreckte Leiber herum. Als sie den Krankenhaus-Wandschirm und den Campingkocher sieht, werden ihre Schritte langsamer.
    Ein Mädchen liegt auf der Matratze, die sich die beiden teilen. Behutsam leuchtet Victoria ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht; sie will sie nicht aufwecken.
    Das Mädchen schläft nicht. Ihre Augen sind weit offen. Gleich darauf kniet Victoria neben ihr, sucht nach einem Puls, nach Atemzügen, nach irgendetwas. Ihre Freundin ist nicht tot, aber nahe dran.
    »O Gott, nicht du auch noch.« Sie muss sie auf die Beine kriegen, muss sie irgendwo hinschaffen, wo sie Hilfe finden können. Sie schiebt den Arm unter die Schultern der anderen und zerrt an ihr. »Komm schon, wach auf. Du musst mir helfen. Komm schon, Lacey, ich kann dich doch nicht auch noch verlieren.«
    Eine Sekunde lang erfasst Laceys Blick den von Victoria, und sie müht sich auf die Füße. Langsam machen sich die beiden Mädchen auf den Weg zurück nach draußen in die Nacht.

82
    In meinem Zimmer saß ich lange im Dunkeln und starrte aufs Wasser hinaus. Eins nach dem anderen gingen die Lichter jenseits der Bucht aus, und wenn eines verschwand, schien ein winziges Stückchen Zeit davonzugleiten. Schließlich hörte jegliche Bewegung auf, und die Bucht kam für diese Nacht zur Ruhe.
    Um ein Uhr morgens war mir klar, dass ich nicht länger untätig sein konnte. Ich musste nach London zurück. Und was noch wichtiger war, ich musste mir Mark Joesbury vom Hals schaffen.
    Entgegen allen Erwartungen hatte es sich gelohnt,

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