Dunkle Gebete
ihr gemeldet«, antwortete Joesbury. »Sie wissen schon, diese Typen, die ein Foto von einem schlecht ernährten Dreijährigen nehmen und es altern lassen, so dass man weiß, dass der Kleine mit vierzig ein Schwabbelmonster mit Prostatakrebs sein wird.«
Ich nickte und wünschte mir insgeheim, ich hätte nicht gefragt. Vor ein paar Tagen hatte Tulloch den Schnappschuss von den beiden Llewellyn-Mädchen weggeschickt, um zu sehen, ob ein Computerprogramm simulieren könnte, wie sie mit Ende zwanzig aussahen.
»Hat’s was gebracht?«, erkundigte ich mich und merkte, dass mein Hunger sich auf mysteriöse Weise verflüchtigt hatte.
Joesbury steckte sich noch ein Pommes in den Mund und schüttelte den Kopf. »Nicht sehr vielversprechend, nach dem, was sie mir erzählt hat«, sagte er kauend. »Bei Victoria hatten sie nicht viel, womit sie arbeiten konnten, auf dem Foto war sie doch im Profil. Bei Catherine hatten sie ein bisschen mehr, aber nichts Schlüssiges.«
»Schade«, bemerkte ich und legte meine Gabel hin.
Joesbury sah mich von der Seite an. »Anscheinend funktioniert das am besten bei auffälligen Merkmalen«, erklärte er. »Große Nase, spitzes Kinn, breite Stirn. Auf klassische Weise hübsche Frauen wie die Llewellyns, besonders Catherine, haben sehr nichtssagende Züge. Wie die aussehen, wenn sie älter sind, hängt von Dingen ab, die wir nicht vorhersagen können – Gewichtsab-oder -zunahme, der Zustand der Haut, all so was.«
»Einen Versuch war’s wohl wert«, bemerkte ich und schob ein paar Pommes in der Pappschale herum, um den Eindruck zu erwecken, ich würde immer noch essen.
Joesbury trank seine erste Bierdose aus und öffnete eine zweite. »Irgend so ein Trottel in dieser Abteilung hat Cathys Foto um zwanzig Jahre gealtert und Haar-und Hautfarbe nachgedunkelt, und jetzt sieht sie genauso aus wie Tully«, erzählte er.
Ich brachte ein Lächeln zustande. »Na, hoffen wir, dass sie ein gutes Alibi hat.«
Wieder senkte sich Schweigen herab, und ich stellte fest, dass ich doch noch etwas mehr essen konnte.
»Geht’s Dana gut?«, erkundigte ich mich nach einem Moment.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Joesburys Kopf zu mir herumzuckte. »Alles bestens«, sagte er. »Sie ist zäher als sie aussieht.«
Der Kerl redete nur Scheiße. »Ja, klar«, sagte ich.
»Was?« Er hatte seine Harter-Mann-Stimme aufgelegt. Dieses Thema hätte ich nicht ansprechen sollen. Tja, Pech für ihn! Ich machte mir nämlich keine Gedanken mehr darum, ob ich vielleicht irgendwelchen Vorgesetzten auf die Zehen trat.
»Ich weiß, dass sie sich mit diesem Fall schwergetan hat.« Ich drehte mich um und sah ihn direkt an. Seine Augen waren schmal geworden, die eine Braue war höher als die andere. Ich sollte es nur wagen, etwas Respektloses über seine kostbare Dana zu sagen. »Das hat sie mir selbst erzählt«, endete ich. Ich hatte keine Angst mehr vor Joesbury.
»Wir tun uns alle schwer mit diesem Fall«, erwiderte Joesbury mit einer Stimme, die mir verriet, dass er das letzte Wort zu haben gedachte.
»Na ja, wir haben aber nicht alle Essstörungen«, entgegnete ich. »Und wir haben ganz bestimmt nicht alle Suizidnarben.«
Joesbury holte tief Luft und stieß sie geräuschvoll wieder aus. Er beugte sich zu mir herüber. »Es gibt absolut nichts daran auszusetzen, wie Dana diese Ermittlungen geleitet hat«, stellte er schroff fest.
Ich beugte mich ebenfalls zu ihm hinüber, bis ich die Pommes in seinem Atem riechen konnte. »Das habe ich auch nicht behauptet«, gab ich zurück. »Ich habe gefragt, ob sie okay ist. Wissen Sie, Sie sind nicht der Einzige, der sie gern hat.«
Joesbury wandte sich von mir ab, aß seine Pommes auf und knüllte das Papier zusammen. Einen Moment lang dachte ich, er wäre eingeschnappt. Dann sagte er leise: »Diese Narben hat sie sich nicht selbst beigebracht.«
Also, damit hatte ich nicht gerechnet. »Das war jemand anderes?«
Er nickte einmal heftig. »Sie spricht nicht gern darüber«, sagte er, ehe er aufstand. »Sind Sie fertig?«
Sorgfältig faltete ich das fettige Papier zusammen und erhob mich. Ich hatte kapiert. Wir machten uns auf den Rückweg, und eine oder zwei Minuten lang blieb Joesbury stumm. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass er eher nachdenklich als zornig war.
»Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was Sie machen wollen, wenn Sie mit der Detective-Ausbildung fertig sind?«, fragte er mich schließlich, als wir das Pommespapier und die leeren Dosen in eine
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