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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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ursprünglichen Rippermorde wissen mussten und dass ich für die Recherche zuständig sein würde.
    Wir waren in der Einsatzzentrale, und er hatte eine Wand für Ripper-Informationen freigemacht. Ich war angewiesen worden, für jedes Opfer eine Akte anzulegen und dabei besonders auf die Obduktionsberichte zu achten, in denen die jeweiligen Verletzungen beschrieben wurden.
    Er half mit, das musste man ihm wohl lassen. Irgendwo hatte er eine gewaltige Straßenkarte von Whitechapel aufgetrieben und elf kleine Fähnchen hineingesteckt, um die Schauplätze der Morde von damals zu kennzeichnen. Die Fähnchen für die »Kanonischen Fünf« waren rot, die anderen gelb. Er hatte aus dem Internet Fotos der damaligen Opfer ausgedruckt, die alle nach ihrem Tod aufgenommen worden waren. Auch die waren an die Wand gehängt worden, und zum ersten Mal seit Jahren sah ich mich Polly Nichols gegenüber. Sie war fünfundvierzig gewesen, klein, dick, schäbig gekleidet und in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Es war schwer, sich zwei verschiedenere Frauen vorzustellen als sie und Geraldine Jones.
    Als ich gefragt hatte, was das mit der Karte bringen solle, da Geraldine Jones doch nicht einmal in der Nähe von Whitechapel umgebracht worden war, hatte Joesbury mir eröffnet, dass ich vor dem ganzen Team einen Vortrag über die Ripper-Morde halten solle, sobald alle da waren.
    Als die Nacht verging und die Sonne sich empormühte, begannen die anderen nach und nach einzutrudeln. Die Nachricht von einem Durchbruch verbreitete sich rasch, und die Einsatzzentrale füllte sich. Joesburys Leichenhausfotos erwiesen sich als ziemlicher Hit. Ich war gerade halb fertig damit, die Augenzeugenberichte zusammenzufassen (überraschend wenige, wenn man bedenkt, wie dicht bevölkert Whitechapel im 19. Jahrhundert gewesen war), als Tulloch und Detective Sergeant Neil Anderson hereinkamen.
    »Mann, ist das eine hässliche Tussi«, brummte Anderson, ehe er zur Kaffeemaschine hinüberging. »Wenn ich gefrühstückt hätte, hätte ich glatt gekotzt.«
    DS Anderson war selbst nicht gerade ein Bild von einem Mann; er hatte schütteres rotes Haar und ein fliehendes Kinn. Und ein maßgeschneidertes Trainingsprogramm im Fitnessstudio hätte ihm auch nicht geschadet. Ich senkte rasch den Blick, als er mich dabei ertappte, wie ich ihn musterte.
    »Der Brief, der an die freischaffende Journalistin Emma Boston geschickt wurde, ist bei der Spurensicherung«, verkündete Tulloch, an das ganze Team gewandt. »Die haben versprochen, dass das absolute Priorität hat. Neil und ich haben uns ausführlich mit Miss Boston unterhalten, aber sie konnte uns nichts Neues erzählen. Der Brief ist gestern irgendwann ganz frühmorgens bei ihr eingeworfen worden. Sie und ihr Freund sind noch mal die Polizeifunk-Aufnahmen vom Freitagabend durchgegangen, und ihnen wurde klar, dass DC Flint direkt in den Mordfall involviert war. Emma Boston hat daraufhin Flints Adresse in Erfahrung gebracht und sie gestern Abend aufgesucht.«
    »Ist sie noch hier?«, fragte ich.
    Tulloch nickte. »Ich möchte sie nicht nach Hause schicken, bevor wir ihre Wohnung gründlich auf den Kopf stellen konnten. Glücklich ist sie nicht darüber, aber damit kann ich leben.«
    Ein onkelhafter Sergeant, an den ich mich von gestern Abend im Pub her erinnerte und der anscheinend George hieß, hatte sich Joesburys Kunstwerke angesehen, die die Wand zierten. »Dann nehmen wir diese Ripper-Nummer also ernst?«, fragte er. »Ich meine, es ist doch nur das Datum, sonst nichts.«
    »Lassen Sie mich eins ganz klarstellen«, sagte Tulloch mit einer Stimme, mit der man wahrscheinlich Farbe hätte abbeizen können. »Ich möchte nicht, dass irgendjemand außerhalb dieses Raumes den Namen Jack the Ripper auch nur denkt, solange wir keine forensischen Untersuchungsergebnisse zu dem Brief haben. Bis dahin müssen wir so viel wie möglich darüber in Erfahrung bringen, womit wir es hier zu tun haben.«
    »Prima«, meldete sich Joesbury zu Wort. » DC Flint hat nämlich seit den frühen Morgenstunden an einer Präsentation gearbeitet. Legen Sie los, Flint.«
    Entsetzt drehte ich mich zu ihm um. »Die ist aber noch lange nicht fertig.«
    »Wir nehmen auch was Unvollendetes«, gab er zurück.
    Jäh wurde mir klar, wie groß die Versuchung, jemandem ein Messer in den Leib zu rammen, unter ganz bestimmten Umständen sein konnte.
    »Erzählen Sie uns einfach, was Sie wissen, Lacey«, sagte Tulloch. »Lassen Sie sich ruhig

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