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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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Straße?«, fragte sie und wandte sich wieder von mir ab. »Das würde eine Superschlagzeile abgeben, meinen Sie nicht? ERMITTLUNGSLEITERIN BITTET UM GÖTTLICHEN BEISTAND, WÄHREND KILLER ERNEUT ZUSCHLÄGT .«
    Ich verkniff mir eine Antwort. Hinsichtlich dessen, was ich gedacht hatte, war sie ziemlich nahe dran.
    »Sie haben die Abendandacht verpasst«, sagte sie nach einem Augenblick.
    »Ich gehe nicht oft in die Kirche«, erwiderte ich.
    »Ich bin früher nie in die Kirche gegangen.« Noch immer schaute sie geradeaus vor sich hin. »Aber jetzt glaube ich, ich würde alles dafür geben, wenn ich wüsste, ob da oben wirklich jemand das Sagen hat. Ob es so was wie einen göttlichen Plan gibt.«
    So hatte ich noch nie darüber nachgedacht. Und würde auch nicht damit anfangen.
    Tulloch rutschte ein Stück auf der Bank zur Seite, so dass mir nicht viel anderes übrig blieb, als neben ihr Platz zu nehmen. Ich setzte mich. Und wartete.
    »Ich weiß, dass Sie das waren, gestern in der Toilette«, sagte sie leise.
    »Entschuldigung«, murmelte ich. »Ich wollte nicht aufdringlich sein.«
    Keine Antwort. Ich tippte mit dem Fuß gegen das dunkelrote Betkissen vor mir, so dass es an seinem Haken hin und her pendelte. »Ich dachte, Sie hätten vielleicht etwas Verkehrtes gegessen …« Abrupt hielt ich inne. Ich hatte nichts dergleichen gedacht, und das hier war eine Frau, der man keinen Blödsinn erzählen konnte.
    »Das träfe auf so ziemlich alles zu, was ich mir in den Mund stecke, Lacey«, antwortete sie. »Ich kann nicht essen.«
    Verstohlen schielte ich zur Seite. Bei den Weight Watchers würden sie mich nicht reinlassen, aber im Vergleich zu Tulloch war ich stämmig.
    »Als Teenager hatte ich eine Essstörung«, fuhr sie fort. »Ich dachte, ich wäre damit durch. Offenbar nicht. Wenn ich esse, übergebe ich mich gleich wieder. Im Augenblick lebe ich von Magermilch, Orangensaft und Vitamintabletten.«
    Ich versetzte dem Betkissen einen weiteren Tritt. Allmählich wünschte ich, ich hätte den Raum mit den Überwachungsmonitoren nie betreten. Tulloch schaute auf das schaukelnde Betkissen hinab, dann sah sie wieder zu dem Fenster hinauf. »Sie wollen wissen, was ich hier mache?«, fragte sie. »Ich bastele an meinem Versetzungsgesuch.«
    Um eine Versetzung zu bitten, hieße, die Ermittlungen abzugeben. Das wäre das Ende ihrer Karriere als Detective.
    »Es wird richtig gut«, fuhr sie im Plauderton fort, als unterhielten wir uns darüber, was wir gestern Abend im Fernsehen gesehen hatten. »Bescheiden, aber würdevoll. Und natürlich entschuldige ich mich. Da kommt man wirklich nicht drumherum.«
    Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte.
    »Alle meine Freunde«, spann Tulloch den Faden weiter, »also, das sind nicht gerade unheimlich viele, aber sie haben mich alle angefleht, diese Beförderung nicht anzunehmen.«
    Ich hätte nach dem Dienst gleich nach Hause gehen sollen. Das hier ging über meinen Horizont. Und allmählich bekam ich ein nervöses Zucken im Bein. Gleich würde das Betkissen vom Haken fliegen.
    »Sie haben gesagt, ich wäre noch nicht so weit. Dass ich mehr Zeit bräuchte.« Sie warf mir einen kurzen Blick zu. »Aber wie oft bekommt man denn eine solche Gelegenheit, Lacey?«, fragte sie. »Ich hätte fünf Jahre auf eine zweite Chance warten können.« Sie wandte sich wieder dem Altar zu. Und stieß einen kleinen Seufzer aus. »Und London war so weit weg.«
    »Von Schottland?«, riskierte ich.
    Ihr Kopf ruckte ein wenig zur Seite, zu mir, und dann wieder zurück. »Was wissen Sie über die Sache in Schottland?«, fragte sie.
    »Gar nichts«, antwortete ich wahrheitsgetreu. »Na ja, so gut wie gar nichts. Nur dass es ein Riesenfall war.«
    Einen Moment lang blieb Tulloch stumm. Dann sagte sie: »Es war ein schlimmer Fall. Unvorstellbar. Manche Narben gehen ungeheuer tief.«
    Als ich sie abermals ansah, waren ihre Augen geschlossen. Sie zerrte an ihren Ärmeln, zog sie über ihre Hände hinunter. Dann schien sie zu spüren, dass ich sie beobachtete, denn sie öffnete die Augen und wandte sich mir zu.
    »Ich dachte, was ist das Schlimmste, was einem in South London passieren kann?«, erzählte sie weiter. »Messerstechereien? Ein häuslicher Streit, der ein bisschen zu weit gegangen ist? Damit wäre ich klargekommen. Auf das hier war ich einfach nicht gefasst.«
    »Das hier ist doch noch gar nicht passiert«, wandte ich entschiedener ein, als mir zumute war. »Es gibt kein Das hier. Wir haben einen

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