Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
Vom Netzwerk:
wischen. Nutze diese Minuten. Heftiger Schmerz, als irgendetwas schwer gegen mich prallt. Ich werde an einer harten Oberfläche entlanggeschleift, die ich nicht sehen kann. Einen Moment lang bewege ich mich nicht mehr von der Stelle, und ich weiß, ich bin irgendwo hängen geblieben. Der Fluss rauscht wie ein Wasserfall an mir vorüber, und mir ist klar, dass dies das Ende ist. Dann bin ich wieder frei, wirbele davon in die Dunkelheit. Noch immer Lichter über mir. Nicht einatmen. Minuten sind verstrichen. Die Uhr tickt. Ich brauche Luft.
    Ich atme. Ich bin durch die Oberfläche gebrochen. Dann bin ich wieder unten, doch die Luft in meiner Lunge hat mir Hoffnung gegeben. Ich trete mit den Beinen aus. Weiter. Gib der Kälte nicht nach. Jede Woche wird eine Leiche aus der Themse gezogen. Die meisten werden in London gefunden. Sei nicht eine davon.
    Wieder tauche ich auf. Das gewaltige Rad des London Eye ist in der Ferne bereits winzig klein. So weit bin ich schon getrieben. Die auslaufende Flut eilt mit mir davon. Dann werde ich von Neuem hinuntergezogen. Ich treibe im Fluss, im Dunkeln, in starker Strömung. In ein paar Tagen wird man mich finden, wahrscheinlich in der Flussschleife, die sich um die Isle of Dogs krümmt, dort bleiben die meisten Leichen hängen. Ich werde aufgedunsen und verstümmelt sein, und die Seevögel werden sich über mich hergemacht haben. Sie werden mich in Wapping in eine große, flache Wanne legen, während die Wasserpolizei Fingerabdrücke nimmt – falls ich noch Finger habe – und versucht, meine Identität festzustellen.
    Aber ich lebe noch, ich atme noch und bewege mich noch. Runter mit der Jacke; der Stoff ist schwer, und sie zieht mich hinunter. Ich riskiere es, nach einem Knopf zu greifen, und gerade noch rechtzeitig fällt es mir wieder ein.
    Diese Jacke ist vielleicht meine einzige Hoffnung. Die Jacke und Joesburys Handy in meiner Tasche. Er und die anderen werden wissen, wo ich bin. Sie werden mir flussabwärts folgen. Bleib einfach nur am Leben. Ich erhasche einen flüchtigen Blick auf etwas Riesiges am Ufer. Die Nadel der Kleopatra. Ich treibe auf die Waterloo Bridge zu. Da ist die Queen Mary. Hier macht der Fluss einen scharfen Knick. Hier besteht das größte Risiko, dass ich an einem der Brückenpfeiler oder einem festgemachten Lastkahn zerschmettert werde. Das könnte auch meine einzige Chance sein.
    Rasch drehe ich mich so, dass ich in die Richtung blicke, in die ich treibe. Ich befinde mich fast in der Mitte des Flusses, und bei dieser Strömung habe ich nicht die leiseste Chance, ans Ufer zu schwimmen. Aber hier herrscht viel Betrieb am Nordufer; es ist beinahe ein Parkplatz für Sportboote und historische Schiffe. Scheiße, tut das weh. Irgendetwas trifft mich im Gesicht, und ein paar Sekunden lang kann ich nicht mal atmen, aber die Boote am Ufer kommen näher. Da ist ein kleines, eine Art Wassertaxi, es ist mit Tauen am Ufer festgemacht. Ein paar davon hängen fast bis zum Wasser durch.
    Ich pralle mit voller Wucht dagegen. Der Fluss heult und packt fester zu. Er zerrt mich herum und versucht mich loszureißen, noch gibt er mich nicht auf. Ich bekomme ein Tau zu fassen und hänge fast waagrecht im Wasser, so heftig zieht der Fluss mich stromabwärts. Dann mache ich die letzte Anstrengung, zu der ich in der Lage bin, und schaffe es, den Ellenbogen über das Tau zu haken. Ich kralle die Hände ineinander. Mehr kann ich nicht tun.
    Jetzt bleiben mir wirklich nur noch wenige Minuten, ehe mir die Kraft ausgeht, ehe die Kälte mich fertigmacht, selbst im September. Joesbury und die anderen werden nach mir suchen. Das Kontrollzentrum in Scotland Yard wird wissen, wo ich bin, wird Informationen weiterleiten. Jemand wird kommen und mich holen.
    Ich kann nur hoffen, dass die Nässe Joesburys großkotzigem Peilsender nichts ausmacht.

47
    Ich erwachte in einem Krankenhauszimmer. Die Rollos waren heruntergezogen, doch dahinter schien sanftes Licht zu schimmern. Ich hatte überlebt. Lange lag ich ganz still da. Mir war sehr heiß. Dann riskierte ich es, Arme und Beine zu bewegen. Alles tat weh. Alles tat, was es tun sollte. Ich setzte mich auf und hatte ein völlig neues Schmerzerlebnis. Mein Kopf, mein Gesicht, mein Oberkörper, alles brüllte auf.
    Ich saß ganz still auf dem Bett und konzentrierte mich nur darauf, ein-und auszuatmen, während ich darauf wartete, dass der Schmerz nachließ. Nach einer Weile, als er zu einem dumpfen Pochen abgeflaut war, erwog ich, mich wieder

Weitere Kostenlose Bücher