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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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hinzulegen. Eigentlich das einzig Vernünftige. Nur musste ich ganz dringend pinkeln.
    Ich setzte die Füße auf den Boden und experimentierte mit dem aufrechten Stand. Ein Kleinkind hätte höhnisch gegrinst, aber wenigstens war ich nicht umgefallen. Am anderen Ende des Zimmers, vielleicht zweieinhalb Meter entfernt, war eine Tür; ich betete darum, dass sie zu einem Badezimmer führte. Auf gar keinen Fall konnte ich es mit einem Flur aufnehmen.
    Ich machte mich auf den Weg. O Scheiße, tat das weh. Hätte ich nicht im Fluss pinkeln können? Als ich die Tür erreichte, drehte sich alles in meinem Kopf. Gott sei Dank, ein Klo mit Haltestangen für Behinderte. Es bestand eine Chance, dass ich mich hinsetzen konnte, ohne umzukippen.
    Hinsetzen war machbar. Wieder aufstehen war etwas ganz anderes, also ließ ich es eine Weile bleiben. Wo war ich? In einem der Krankenhäuser von South London wahrscheinlich. Ich erinnerte mich an helle Lichter, die auf mich herabschienen. Eine Männerhand, die sich nach unten streckte. Ich war nicht imstande gewesen, das Tau loszulassen, um danach zu greifen, also hatte er mir einen Strick umgelegt wie einem durchgegangenen Ochsen und mich zum Heck des Rettungsbootes gezogen. Ein hübsches rothaariges Mädchen von der Londoner Wasserpolizei hatte mich auf einer Trage festgeschnallt und mich in eine silberne Wärmedecke gehüllt. Dann hatte der Motor des Bootes aufgeheult, und wir waren über den Fluss geflitzt, dorthin, wo der Notarztwagen wartete.
    Da mir klar wurde, dass ich die Nacht nicht auf dem Klo verbringen konnte, zog ich mich hoch. Aus irgendeinem Grund fiel mir das Atmen fürchterlich schwer. Als hätte ich einen gewaltigen Schnupfen. Nachdem ich gespült hatte, verließ ich das Badezimmer. In der Tür meines Zimmers war ein Fenster, das auf einen Flur hinausging, und genau gegenüber saß ein Mann auf einem Plastikstuhl. Seine Augen waren geschlossen, sein linker Arm ruhte in einer Schlinge. Meine Zimmertür und seine Augen öffneten sich im selben Moment. Joesbury starrte mich einen Augenblick lang an, dann erhob er sich.
    »Wie fühlen Sie sich?«, fragte er, als wir beide in meinem Zimmer standen und die Tür sich sachte hinter uns geschlossen hatte.
    »Als wäre ich in die Themse gefallen.«
    Joesbury sah erschöpft aus, und ich überlegte, wie lange er wohl vor meiner Tür gesessen hatte.
    »Sie sollten wirklich nicht auf den Beinen sein«, sagte er. »Die haben Sie erst vor zwei Stunden mit Schmerz-und Beruhigungsmitteln vollgepumpt.«
    Beruhigungsmittel würden vielleicht erklären, warum mein Kopf sich anfühlte, als sei ein Bienenschwarm darin eingesperrt. »Was ist denn alles kaputt?«
    »Hauptsächlich angeknackste Rippen. Ein paar Zerrungen. Massenhaft blaue Flecken.«
    Das schien ja nicht allzu schlimm zu sein. Mit einem Kopfnicken deutete ich auf seine Schlinge. »War ich das?«
    Er zuckte die unverletzte Schulter. »Na ja, noch brauchen sie nicht zu amputieren.« Dann verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. »Ihren Turnschuh habe ich im Auto.«
    Ich schaute auf meinen Fuß hinunter. »Ich glaube, den anderen habe ich verloren«, stellte ich fest.
    Das Lächeln wurde ein wenig breiter. »Vielleicht behalte ich ihn als Souvenir.«
    »Was ist mit Cooper?«, wollte ich wissen. Während der ganzen Zeit, die ich im Fluss verbracht hatte, hatte ich nicht an den Mann gedacht, der mich dort hineingezogen hatte. Überleben war das Einzige gewesen, was gezählt hatte. Jetzt jedoch …
    Joesbury schüttelte den Kopf. »Noch nichts«, antwortete er. »Aber wir rechnen auch nicht damit. Wir hätten Sie nicht gefunden, wenn Sie nicht …«
    »Ich weiß«, sagte ich, und als das nicht genug zu sein schien: »Danke.«
    »Er ist tot, Flint. Die Chance, dass Sie beide da rauskommen, war gleich Null.«
    »Ich weiß«, sagte ich noch einmal. Wahrscheinlich war es besser, dass Cooper nicht überlebt hatte. Und trotzdem … »Was er da gesagt hat, kurz bevor wir reingefallen sind. Dass ihm jemand was anhängen will.«
    »Das sagen die alle.« Joesbury zeigte auf das Bett. »Und jetzt müssen Sie wirklich ein bisschen schlafen«, fuhr er fort. »Tully wird gleich morgen früh hier ihr Lager aufschlagen, rumflattern wie eine Glucke und einen genauen Bericht verlangen.«
    »Ich wasche mir nur schnell die Hände«, sagte ich. In der Ecke des Zimmers befand sich ein Waschbecken.
    Er machte einen Schritt hinter mir her. »Lacey, das ist keine –«
    Ich stand vor dem Waschbecken.

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