Dunkle Gefährtin
Werwölfe gehörten nicht zu Samanthas Spezialgebiet, also wusste sie kaum etwas über sie. Was sie jedoch sehr wohl wusste, war, dass sie sich nie ohne guten Grund weiter von ihrem Rudel entfernten. Gemeinhin war es für sie gefühlsmäßig schwierig, den engen Familienverbund zu verlassen, und dennoch war Logan hier, pfiff munter vor sich hin und kutschierte Samantha durch L.A.
Sie beide hatten sich schnell angefreundet, auch wenn Samantha ihm nicht all ihre Geheimnisse anvertraute. Aber nach und nach hatte sie die Ängste hinter sich gelassen, die sie seit Seattle plagten, auch wenn sie bisher außerstande war, über Tain zu sprechen.
»Also, dieser Unsterblichentyp«, begann Logan, als Samantha die Akten zuschlug, »hast du eine Ahnung, wo wir nach ihm suchen sollen?«
»Nein.« Tain hatte ihr Apartment in der Nacht verlassen, ohne ihr zu sagen, wo er wohnte. Sie sollte ihm bei Leda eine Nachricht hinterlassen, falls sie etwas fand. »Aber ich habe mit ihm geredet.«
Logan stutzte. »Wann das denn?«
»Gestern Abend, als ich nach Hause kam.«
»Und diese winzige Information hast du
weshalb
für dich behalten?«
Sie stapelte die Akten fein säuberlich auf, um ihn nicht ansehen zu müssen. »Ich glaube nicht, dass er etwas über die Bandenkriege im Merrick’s weiß oder sie ihn auch nur sonderlich interessieren. Seinetwegen können sich die Dämonen ruhig gegenseitig umbringen.«
»Solltest du ihn nicht von McKay befragen lassen, ehe du so etwas entscheidest?«
Samantha knallte die letzte Akte auf den Stapel. »Wenn er von Merrick und dem Mindglow wüsste, hätte er es mir gesagt, so viel steht fest. Oder er hätte Merrick, ohne mit der Wimper zu zucken, getötet. Und bevor du dich jetzt in wilde Spekulationen verrennst, kauf mir lieber eine Pizza, und ich erzähle dir alles, was er mir gesagt hat!«
Samantha wusste, dass es zu viel Zeit kosten würde, nach jener Nadel im Heuhaufen zu forschen, die Tain suchte, und sie vertraute Logan hinreichend, um ihn mit einzuspannen. Zudem verfügte ihr Partner über eine natürliche Neugier, die ihn zu einem guten Ermittler machte, und über die Bereitschaft, alles zu tun, was dem Fall nützte.
Logan spendierte ihr ein Mittagessen in der Pizzeria gegenüber, und über einer Peperoni-Salami-Pizza erklärte Samantha ihm, worum Tain sie gebeten hatte.
Ihr Partner hörte aufmerksam zu. »Wir sollten Merrick fragen, ob er etwas gesehen hat.«
»Er liegt noch im Krankenhaus, aber die Staatsanwaltschaft wies den Fall schon ab, weil sie angeblich nichts haben, was vor Gericht standhält. McKay und ich konnten Merrick genau eine einzige Frage stellen, bevor sein Anwalt hereingerauscht kam, und nicht einmal die hat er beantwortet.«
»Es muss ja keine offizielle Befragung sein«, schlug Logan vor. »Wir plaudern bloß nett mit ihm. Welches Krankenhaus?«
»Du sagst ›
wir‹
?«
»Die monatelangen Mindglow-Observierungen gehen mir allmählich auf die Nerven. Ich brauche ein Hobby. Und wenn die Mädchen alle in den Straßen ums Merrick’s angeschafft haben – wer sagt, dass es da keine Verbindung gibt?«
»Um ehrlich zu sein, ich wäre wirklich dankbar für deine Hilfe.«
»Dann hätten wir das ja geklärt.« Er streckte ihr die Hand hin. »Bekämpfen wir gemeinsam das Verbrechen!«
»Ich dachte, das machen wir sowieso schon.«
»Aber jetzt auch noch in Fällen, die uns gar nicht zugeteilt sind. Wir werden also auch zusammen suspendiert.«
»Was für ein Herzchen du doch bist, Logan!«
Er grinste. »Deshalb lieben mich die Weiber.«
Als sie in dem Krankenhaus ankamen, das sich auf die Behandlung von Dämonen spezialisiert hatte, erfuhren sie, dass Merrick bereits entlassen worden war. Dämonen genasen schnell, aber Samantha glaubte nicht, dass sie
so
schnell wieder auf die Beine kamen. Immerhin war Merricks Hals fast durchtrennt worden.
Logan sagte nichts, als sie vorschlug, zu Merricks Club zurückzufahren. Merrick wohnte in einem Penthouse darüber, und wahrscheinlich war er zu Hause, um sich von seiner Verletzung zu erholen.
Venice am Tag war etwas ganz anderes als mitten in der Nacht, wenn die Vampir- und Dämonenclubs geöffnet hatten. Jetzt pilgerten Touristen und Einheimische in T-Shirts und Shorts durch die bunten Straßen zum Strand. Über ihnen wölbte sich ein strahlend blauer Himmel, und die Septembersonne wärmte angenehm.
Merricks Club war geschlossen, die Rauchglastür vorn verriegelt. Samantha hämmerte mit der Faust dagegen, während
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