Dunkle Gewaesser
Schmutzwasser, aber so konnten wir unseren Bäuchen wenigstens vormachen, wir hätten gegessen.
Etwa zwei Stunden, nachdem wir aufgestanden waren, öffnete ich gegen Mamas und Jinx’ Willen – Terry war wieder in einen unruhigen Schlaf gefallen – einen Laden und schaute raus. Dem Fenster direkt gegenüber lag der Wald. Ich schaute in alle Richtungen, konnte Skunk aber nirgends entdecken. Nur die langen Schatten der Bäume und Regen.
Ich schloss wieder zu und ging von Fenster zu Fenster, sah aber immer noch nichts. Als ich einen der Läden auf der anderen Seite des großen Zimmers öffnete, starrte mir ein Gesicht entgegen – die Nase ragte durch die kaputte Glasscheibe, die Augen waren trocken und starr. Mit einem lauten Schrei wich ich drei Schritte zurück. Die alte Frau! Sie war noch immer in den Teppich eingewickelt,aber er war aufgeschlitzt, sodass ihr Gesicht zu sehen war. Ihr weißes Haar war so nass wie ein neugeborenes Kalb, und sie war mit angewinkelten Ellenbogen gegen den Fensterrahmen gelehnt worden. Auf ihren Armen hielt sie die Kiste mit den Sägen. Sie stand offen und war leer bis auf Terrys Arm – allerdings ohne die Hand, die dazugehörte. Die Arme der alten Frau, die die Kiste hielten, waren Stümpfe; auch ihr waren die Hände abgehackt worden.
»Er hat sie ausgegraben«, sagte ich.
»Teufel auch«, sagte Jinx, die mit der Pistole neben mir stand, »das sehen wir selbst.«
»Er ist ein Ungeheuer«, sagte Mama, die leise zu uns getreten war.
»Merken Sie das jetzt erst?«, fragte Jinx.
»Jinx«, sagte Mama, »sei lieber vorsichtig, sonst setzt es eine Tracht Prügel!«
Ich und Jinx starrte Mama entgeistert an.
»Das hat gut getan, das jetzt mal auszusprechen«, fuhr sie fort, »aber ich möcht’s nicht noch mal sagen, und mir wär’s am liebsten, ihr würdet auch das eine Mal gleich wieder vergessen.«
Der Regen hatte nachgelassen, und durchs Fenster konnten wir die Sonne aufgehen sehen, eine dünne goldene Linie, die einen blutroten Schleier hinter sich herzog. Ich schloss die Läden und verriegelte sie.
»Er geht nach keinem bestimmten Muster vor«, sagte ich. »Dabei ist er die ganze Zeit hellwach. Jeder andere würde irgendwann schlafen. Aber ob Nacht oder Tag, Regen oder Sonne, ihm ist das gleich. Wie soll man gegen so jemand ankommen?«
Langsam wurde ich ein bisschen verrückt und musste mich zusammennehmen, damit ich nicht anfing, wie ein Eichhörnchen zu schnattern.
Jinx hockte sich im Schneidersitz auf den Boden und legte sichdie Pistole in den Schoß. »Wir haben nur zwei Möglichkeiten, Sue Ellen«, sagte sie. »Entweder geht einer von uns nach Gladewater und holt Hilfe, oder wir gehen alle zusammen, aber das geht nur, wenn Terry mitkommt, und das kann er nicht.«
»Also bleibt uns nur die erste«, sagte ich.
»Sieht so aus.«
»Wenn jemand hier bei Terry bleibt«, sagte Mama, »schafft es Skunk irgendwann, ins Haus zu gelangen. Einer allein kann nicht auf beide Zimmer achtgeben, ohne zu schlafen.«
»Oder das Haus trocknet, und er steckt es in Brand«, sagte Jinx.
»Ich finde, dass ich da auch etwas mitzureden habe«, rief Terry aus dem Schlafzimmer herüber und schlug mit der einen Hand die Bettdecke zurück. Er hatte nur seine Unterhosen an und versuchte, mit den Füßen auf den Boden zu kommen.
Er wollte zu uns rüberlaufen, kam aber nicht weit; er musste wieder umkehren und sich aufs Bett setzen. Jinx ging zu ihm, legte die Pistole aufs Bett, half ihm, die Beine wieder hochzuhieven, und deckte ihn zu. Schließlich versammelten wir uns alle um Terrys Bett.
»Du könntest’s ja nicht mal mit ’nem Kätzchen aufnehmen, dem jemand eine Pfote auf den Rücken gebunden und ein Auge ausgestochen hat«, sagte ich. »Ruh dich erst mal richtig aus.«
»Ich mach die ganze Zeit nichts anderes.«
»Zu mehr bist du ja auch nicht in der Lage«, sagte Jinx.
Ich dachte einen Moment nach, sagte: »Der Baumstamm unten am Fluss – das wär vielleicht eine Möglichkeit.«
»Was für ein Baumstamm?«, wollte Mama wissen.
»Wo wir den Fisch gefunden haben. Auf dem könnten wir den Fluss runtersegeln. Ich und Terry haben das auch schon gemacht.«
»Da hatte ich noch zwei Arme«, sagte Terry.
»Stimmt. Aber zu Fuß schaffen wir das nie. Auf dem Fluss ist es,glaube ich, nicht so weit. Ihr könntet alle hierbleiben, und ich nehm die Pistole mit und die Beine untern Arm. Wenn ich’s bis zu dem Baumstamm schaffe, kann ich mich abstoßen und flussabwärts bis nach Gladewater
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