Dunkle Gewaesser
alte Hexe hatte den anderen Arm am nässenden Handgelenk gepackt. Sie säbelte daran herum, als würde sie einen Pfeil schnitzen, und dann warf sie das Messer beiseite, schnappte sich eine Säge und legte los. Sie sägte wirklich schnell. Als der Knochen fast durch war, hielt sie inne, setzte sich auf und schnappte schwitzend nach Luft.
Terry schrie laut genug, um die Toten aufzuwecken, und wenn man in Betracht zog, dass Jinx ihren Hintern auf seinen Kopf gepflanzt hatte, dann war das eine ziemliche Leistung. Er versuchte sich zu befreien, aber wir hielten ihn fest.
»Ich bin nicht mehr die Jüngste«, sagte die alte Frau. »Ich bin fix und fertig, aber der Knochen ist noch nicht durch. Die Säge ist auch ganz schön stumpf.«
Ohne ein Wort zu sagen griff Mama nach einer anderen Klinge, tauschte sie gegen die alte aus und machte sich an die Arbeit. Nach wenigen Sekunden war sie damit fertig. Die alte Frau, die den Arm so aufgeschnitten hatte, dass ein ordentlicher Hautlappen daranhängen blieb, faltete diesen übereinander, nahm eine Nadel und einen dicken Faden und fing an zu nähen.
Irgendwann während alldem hatte Terry aufgehört zu schreien und zu zappeln, und für einen Moment befürchtete ich, Jinx hätte ihn mit ihrem Hintern erstickt. Aber als sie aufstand, sah ich sofort, dass er atmete. Er war ohnmächtig geworden.
Die alte Frau keuchte schwer, und fast glaubte ich, ihr Herz gegen ihren Brustkorb schlagen zu hören wie eine Motte, die in einem Glas mit den Flügeln schlägt.
Jinx hob die Pistole vom Boden auf. »Nachdem er jetzt vernäht ist«, sagte sie und spannte den Hahn, »kann ich Ihnen ja eine Kugel durch den Kopf jagen.«
Die alte Frau sah sie in etwa so aufgeregt an wie eine Schüssel Salat.
Eins muss man Jinx zugutehalten – wenn sie sagt, dass sie was macht, dann macht sie es auch, denn sie drückte ab. Ein lautes Klicken ertönte. Sie spannte wieder den Hahn und drückte noch mal ab. Nichts geschah. Erstaunt betrachtete sie die Pistole.
Die alte Frau kratzte sich am Kinn und sagte: »Ich hab Kugeln reingetan, aber keine davon ist geladen. Ich hab sie aufgeschraubt und das Puder rausgekippt, um eine Wunde auszubrennen, die ich mal am Knie hatte. Funktioniert ziemlich gut, wenn man weiß, was man tut, und wenn man die Schmerzen aushält und nicht so viel nimmt, dass man sich in die Luft sprengt.«
Jinx hob die Pistole, wie um die alte Frau zu schlagen. Mama packte sie am Handgelenk. »Auch wenn sie böse ist, müssen wir nicht genauso sein.«
»So böse bin ich gar nicht«, sagte die Alte. Sie wirkte ehrlich überrascht, und ihr Gesicht schien plötzlich aus Wachs zu bestehen, das an einer Kerze herunterrann. »Ich hab dem Jungen doch das Leben gerettet. Ich bin hier nur ganz allein, und niemand kümmert sich um mich.«
»Das will ja auch niemand«, sagte Jinx und riss sich los. »Warum auch?«
»Jeder braucht jemand, der ihm hilft«, sagte die alte Frau. »Allein kommt niemand zurecht.«
»Man kriegt nicht immer, was man will«, sagte Jinx.
»Da hast du wohl recht«, erwiderte die Alte und versuchte aufzustehen, schaffte es jedoch nicht.
»Ich find ja, wir sollten sie an einen Baum hängen und mit einem Stock durchprügeln«, sagte Jinx. »So wie Sue Ellen vorgeschlagen hat, und so wie ihr Vater das mit diesem Kerl gemacht hat.«
»Kommt nicht in Frage«, sagte Mama.
»Sie haben da gar nichts mitzureden«, sagte Jinx, aber weiter kam sie nicht. Mama riss ihr die Pistole aus der Hand und warf sie gegen die Wand, worauf irgendwelcher eingestaubter Krimskrams von einem Regal fiel und auf den Boden krachte.
»Das möchte ich nicht noch mal hören«, sagte Mama. »Natürlich kann ich mitreden. Vielleicht nicht am Anfang, aber inzwischen hab ich genug durchgemacht. Ich sage, was ich will, und wenn du meinst, du kannst mit ihr machen, was du willst, dann fängst du am besten mit mir an. So sind wir nicht! Wenn du sie erschossen hättest, würdest du das irgendwann bereuen. So willst du nicht sein. So bist du nicht.«
»Vielleicht doch«, sagte Jinx.
»Sie hat recht, Jinx«, sagte ich. »So sind wir nicht. Und wir wollen auch nicht so sein wie sie.«
Jinx blickte zu Boden, wo Terrys Blut eine große Lache bildete. Dann schaute sie die alte Frau an, die versuchte, mitleiderregend zu wirken. Ein Hund mit einem Dorn in der Pfote hätte nicht so elend aussehen können wie sie.
Mama half ihr auf und führte sie zum Schaukelstuhl. Die alte Frau ließ sich reinfallen, schaukelte schwer
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