Dunkle Gier: Roman (German Edition)

daran war, zum Vampir zu werden. Marguarita hatte keine Ahnung, wie das vor sich ging, doch sie wusste, dass der Verlust seiner Ehre das Einzige war, was jeder Karpatianer fürchtete. Und nun war Zacarias als Vampir wiedererwacht, und die Schuld daran trug sie.
    Sie spreizte die Finger und blickte durch sie hindurch zu dem Papierkorb hinüber, wo hundert zerknüllte Blätter ihres Notizblocks den Beweis erbrachten, dass es keine Erklärung für ihr Fehlverhalten gab. Keine. Sie wusste nicht, warum sie ein solch schweres Vergehen begangen hatte, aber sie hatte nicht anders gekonnt, und jetzt hatte sie genau das Monster erschaffen, dessen Entstehung Zacarias hatte verhindern wollen.
    Mit zitternder Hand berührte Marguarita ihren pochenden Nacken und den Fleck, der sich durch ihre Haut hindurchgebrannt hatte, um sogar ihre Knochen mit Zacarias’ Zeichen zu versehen. Sie schluckte heftig und rappelte sich mühsam auf. Ihre Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi, und sie konnte nichts gegen das Zittern ausrichten, das ihren ganzen Körper überkam. Was sollte sie tun? Was konnte sie tun? Sie konnte diesem Monster nie, nie wieder gegenübertreten. Aber vor allem konnte sie nicht zulassen, dass Zacarias irgendjemanden auf der Hazienda umbrachte oder benutzte. Es war ihre Schuld, dass er zum Vampir geworden war; sie war dafür verantwortlich, und nun musste sie die Sicherheit aller gewährleisten.
    Sie wusste, dass Vampire Handlanger, sogenannte »Marionetten«, für ihre Zwecke einsetzten – Menschen, die tagsüber, wenn die Vampire schliefen, für sie Aufträge erfüllten. Marionetten gierten nach dem Blut des Vampirs und labten sich an Fleisch. Es war ein schreckliches halbes Leben, zu dem sie verdammt waren, und irgendwann verfaulten sie von innen heraus. Aber ich werde nicht Zacarias’ Marionette sein, beschloss Marguarita, und wenn ich tausend Mal die Schuld daran trage, dass er seine Ehre verloren hat! Es war schließlich wirklich nicht ihre Absicht gewesen.
    Marguarita befeuchtete die trockenen Lippen und zwang sich, sich zusammenzunehmen. Zu Cesaro und Julio konnte sie nicht gehen, weil sie versuchen würden, sie zu verteidigen, und sie dann mit Sicherheit getötet würden. Niemand war Zacarias de la Cruz gewachsen. Wenn sie zu einer ihrer Tanten ging, würde er es erfahren. Alle ihre Verwandten arbeiteten in der einen oder anderen Position für die Familie de la Cruz. Während Marguarita noch versuchte, sich über ihre nächsten Schritte klar zu werden, riss sie Schubladen auf und stopfte das Minimum an Kleidung, das sie brauchte, in einen Rucksack.
    Sie musste einen Plan fassen. Vampire waren raffiniert, aber sie hatten auch Schwächen. Sie konnte nicht die Jäger rufen, bis sie Zacarias von allen weggelockt hatte, die sie liebte. So viel stand fest. Vampire töteten um des Vergnügens willen, das es ihnen bereitete, und sie durfte niemanden auf der Ranch gefährden. Wenn sie das Rufzeichen für einen Jäger aktivierte, würden Cesaro und alle anderen Arbeiter den Kampf mit Zacarias suchen. Sie wusste jedoch mit absoluter Sicherheit, dass sie ihn von ihrer Familie weglocken konnte, weil Zacarias ihr folgen würde.
    Zum Glück kannte sie den Regenwald und fürchtete ihn nicht wie die meisten anderen. Sie würde verschwinden – und Zacarias würde ihr folgen. Aus irgendeinem Grund war sie sich dessen ganz sicher. Und irgendwann würde er sie finden – und sie wahrscheinlich töten –, aber sie hatte im Grunde keine andere Wahl, wenn sie ihre Familie retten wollte. Sie würde flussabwärts zur nächsten Besitzung der Brüder de la Cruz gehen – einer Ansammlung von Hütten, die benutzt wurden, wenn das Vieh zu anderen Weiden getrieben wurde –, und von dort die Jäger rufen. Falls sie es schafften, den Vampir unschädlich zu machen, bevor er sie fand, wäre sie in Sicherheit, und wenn nicht, würde sie wenigstens ihre Familie gerettet haben.
    Sie zog die Stiefel an und lief durchs Haus, um ihren Überlebenspack zu suchen. Sie hatte ein Wasserfiltersystem und Tabletten für den Notfall, obwohl sie wusste, wo es jede Menge Wasserfälle gab. Außerdem war sie eine ausgezeichnete Jägerin, sodass also auch Essen kein großes Problem darstellen würde. Aber wie sollte sie Cesaro und Julio davon abhalten, sich auf die Suche nach ihr zu begeben?
    Marguarita biss sich auf die Lippe und versuchte, die hektischen Gedanken zur Ruhe zu bringen. Sie musste die Flucht genau durchdenken. Zacarias hatte kein