Dunkle Häfen - Band 1
spürte bereits eine mächtige Gereiztheit aufsteigen. Sie hatte keine Nerven für so ein Getue, vor allem jetzt nicht.
"Selbst wenn ich es wüsste, würde ich es nicht sagen!" sagte die Frau blasiert. "Ich glaube nicht, dass er dich empfangen will!"
Damit würgte sie Ramis Erwiderung ab und stampfte davon.
"Dann warte ich eben!" , schrie Ramis ihr aufgebracht hinterher. "Soll er selbst entscheiden!"
Auf halbem Weg begegnete die Matrone einer zweiten Frau, die aus der Tür getreten war.
"Was ist denn da los?" Ihre Stimme war leise und kultiviert, ihre Kleidung edel.
"Nichts, Herrin, nur ein paar von diesem Pack wieder."
"Mrs Seymoor, ist Ihr Mann da?"
Ramis hielt sie für John Seymoors Frau. Nicht nur wegen Bess fand sie die Dame auf Anhieb unsympathisch. Ihr schlanker Hals und ihre zerbrechlichen Handgelenke wirkten wie eine Maskerade, um den Beschützerinstinkt zu wecken. Ramis wunderte sich, wie John so eine Frau hatte heiraten können, da er doch Bess liebte. Die vorher so sanften Augen von Mrs Seymoor wurden schmal und hart, als sie Ramis und Edward als Piraten erkannte.
"Mein Mann hat nichts mehr mit euch zu schaffen! Last uns endlich in Ruhe, ihr lumpigen Halsabschneider!"
Tränen schossen der Frau in die Augen, doch Ramis hielt sie für unecht. Rasender Zorn stieg in ihr auf. Bess steht nun nicht mehr zwischen euch! Du kannst dich freuen...
"Eingebildete Idiotin!" , brüllte sie hinter den beiden Frauen her, die sich aufeinander stützten, als hätte Ramis ihnen ein Leid zugefügt.
"Wie kann man nur..." , hauchte Mrs Seymoor fassungslos ihrer Dienerin zu.
"Was versteht ihr Närrinnen schon von der richtigen Welt? Ich wünsche mir, ihr läget auch mal im Dreck!"
"Zur Hölle mit euch!" , grölte Edward, der bis jetzt geschwiegen hatte.
Er setzte zu einem weiteren Fluch an, doch die Damen knallten die Tür hinter sich zu. Ramis wandte sich vom Tor ab und atmete tief durch. Sie hatte sich dumm benommen, unverzeihlich. Es nützte rein gar nichts, wenn sie ihre Wut an diesen Frauen ausließ. Als auch nach einer Weile nichts mehr passierte, ließ sie sich an der Mauer entlang ins Gras sinken. Edward spähte weiterhin durch das Tor, sicher wollte er die Bewohner provozieren. Eine lange Warterei begann.
Erst spät am Nachmittag rollte eine feine Kutsche heran, die von zwei Füchsen gezogen wurde. John Seymoor wartete nicht ab, dass ihm jemand die Tür öffnete. Er sprang herunter und herrschte die schläfrige Piratin an, ohne sie zu erkennen.
"Was macht ihr da?"
Ramis richtete sich auf. In seinem Gesicht drückte sich allmählich Erkennen aus.
"Mmmhh, warte mal, ... Anne, nicht wahr?"
Sie nickte und konnte ihm nicht in die Augen sehen.
"Wo ist Bess?" , fragte er auch gleich. "Hat sie keine Zeit?"
Ramis hob den Kopf, sie spürte, dass ihre Augen in Tränen schwammen.
"Bess hat jetzt alle Zeit der Welt."
"Was..."
Es gab Dinge, auf die konnte man sich nicht vorbereiten, sie blieben unvorstellbar. Und wenn sie passierten, reagierte man stets mit Unglauben, bis irgendwann alles zu einem durchdrang. Manche Ereignisse akzeptierte man auch gar nicht, man verdrängte sie. Da gab es die Frauen, die ein leeres Bündel in ihren Armen trugen und behaupteten, das wäre ihr Baby, das längst gestorben war. Und Ehefrauen und Ehemänner, die mit der Luft sprachen und sie tätschelten, als könnten sie einen Menschen spüren. Bei John Seymoor stellte sich die Erkenntnis jedoch langsam ein, so schmerzhaft sie auch war.
"Bitte, sag mir, dass ich mich irre!"
Doch die Wahrheit ließ sich niemals wirklich aufhalten, das hatte Ramis erfahren; irgendwann und irgendwie kam sie immer schmerzhaft zutage.
"Sie ist tot." Damit war es ausgesprochen. Die erbarmungslose Wahrheit.
Mr. Seymoor wurde so grau im Gesicht, wie Ramis es noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Er schien im wahrsten Sinne des Wortes jede Farbe zu verlieren. Seine Mundwinkel zuckten.
"Wie ist es passiert?" , fragte er mühsam beherrscht.
Ramis berichtete ihm von dem Vorfall.
"So wollte sie sterben. Sie wollte nie alt und pflegebedürftig werden."
Ramis versuchte ihn zu trösten, obwohl es keinen Trost gab. Wenn nicht einmal die Zeit heilen konnte, wie sol lten es dann ein paar Worte? John Seymoor nickte mit gesenktem Kopf.
"Wir haben sie im Meer bestattet."
"Ich habe sie an das Meer verloren..."
Er hatte vergessen, dass sie da war, denn seine bitteren Worte waren an sich selbst gerichtet. Murmelnd wanderte auf das Haus zu, ohne sich von
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