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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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drängen lasse. Ich konnte mein Leben noch nie selbst in die Hand nehmen. Doch die Erwartungen, die alle in mich setzen, erdrücken mich. 'Sei stark', sagten sie alle. Vielleicht bin ich das einfach nicht. Aber sie nehmen mir beim Abschied Schwüre ab, die mich auf alle Ewigkeit binden. Martha, Bess, auch Lettice. Alle habe ich irgendwie geliebt und trotzdem hasse ich sie manchmal für die Last, die sie mir aufgebürdet haben.
    Aber genug davon. Sogar beim Schreiben komme ich ins Grübeln und lasse mich von düsteren Stimmungen mitreißen. Dabei gibt es viel naheliegendere Dinge, die zu lösen sind. Unsere Zukunft hängt weiterhin in der Schwebe. Und da Bess gestorben ist, liegt die Entscheidung bei mir. Ihr Erbe ist alles andere als angenehm. In meiner Aufgabe zu scheitern, bedeutet den Tod. Nach unseren Lagebesprechungen habe ich beschlossen, die alte Handelsroute über Neufundland nach Bristol zu befahren.
    Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, dass ich jetzt in Bess Kajüte wohne und den Vorsitz bei den Beratungen führe. Es kommt mir nicht rechtmäßig vor. Und auch die Aussicht, nach Bristol zurückzukehren, bedrückt mich. Mein Herz ist zu schwer vor lauter Last und ich bin müde, denn es ist spät. Bevor ich zu Bett gehe, will ich noch einen Rundgang über Deck machen. Ich bin erst beruhigt, wenn ich mich überzeugt habe, dass alles in Ordnung ist. In meinem Rücken höre ich Edwards regelmäßiges Atmen, ein Geräusch, das mir sehr vertraut ist. Er hat sich heute am Kopf verletzt, als er sich mal wieder tollkühn übers Deck schwingen musste und das Seil sich gelöst hat. Deshalb habe ich ihn sofort ins Bett gesteckt. Er ist so unvernünftig und ich frage mich, ob das nicht jedes Kind ist. Ich kann mich jedoch nicht erinnern, je einen kindischen Streich gespielt zu haben oder mich mit einer abenteuerlichen Aktion in Gefahr gebracht zu haben. Ich war immer ein ernstes Mädchen, eines der unglücklichen Kinder. Ein Kind, das kein Kind war, denn es hatte kein Zuhause, keine Wurzeln. Und jetzt ist es erwachsen und will doch nur Kind sein.
     
    Zwei Wochen später, Neufundland
    Wir erreichten Neufundland, als es dunkel war. Der Wind war eisig kalt und frisch. Wir machten eine Weile halt, um neuen Proviant aufzunehmen. Es wird eine lange Reise werden, mehr als nur einen Monat werden wir auf See sein. Erst einmal hieß es aber, ein paar Tage entspannen und an Land verweilen. Dort oben in Neufundland schien es bereits Winter zu sein. Wir froren alle ganz fürchterlich. Dann segelten wir weg vom Land, aufs offene Meer hinaus. Dort hoffen wir einem unbewachten Handelsschiff zu begegnen. Auch wenn wir Krieg haben, sie können doch nicht für jeden kleinen Kahn eine Eskorte bereitstellen. Und wir brauchen so dringend neue Beute!
     
    Oktober 1702, Atlantischer Ozean
    Das Glück war uns hold. Wir stießen auf eine h olländische Fleute, die dank des Geizes ihres Eigners wieder einmal schwach besetzt war und deren Mannschaft sich ohne großes Geplänkel ergab. Wir freuten uns über den gefüllten Frachtraum, ein Grund zum Feiern. Die Männer sangen und tanzten bis in die Nacht. Ich habe beschlossen, die Holländer in meine Mannschaft aufzunehmen, um die Lücken zu füllen, die die vergangenen Kämpfe gerissen haben. Die Neuen fügen sich problemlos ein. Ich glaube, einige von ihnen begrüßen es sogar. Das Leben als einfacher Matrose auf den Handels- und Kriegsschiffen ist entbehrungsreich und die strenge Schiffsdisziplin macht es nicht besser. Auf dieser Fahrt hätten sie zu vierzehnt mit dem Schiff klarkommen müssen, erzählten die Holländer. Sie waren alle unverheiratet oder verwitwet, sonst hätten wir sie nach altem Piratenrecht gehen lassen müssen. Nur einer hatte eine Familie, aber er wollte trotzdem Pirat werden. Eine Entscheidung, die mir persönlich nicht so gefiel, es verstieß gegen mein Gefühl von Anstand. Wie sollte seine Frau sich und die Kinder nun ernähren? Er ließ sich jedoch nicht umstimmen, als ich ihm die Freiheit anbot, wollte ihnen aber weiter Geld zuschicken, wie zu den Zeiten, als er noch Matrose war.
    Während ich über ihr Schicksal entschied, wurde mir klar, wie sehr ich auf einmal über Leben und Tod anderer bestimmte. Es ist eine ganz unbekannte Macht und sie ist seltsam berauschend.
    In der Prise war reichlich Beute und doch kenne ich persönlich keinen Piraten, der reich geworden wäre. Man muss schon einen Glücksgriff machen, um für immer versorgt zu sein. Bei uns jedenfalls

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