Dunkle Häfen - Band 1
zu spät kommen! Mit ungeahnter Kraft stieß sie einen Mann beiseite und das Folgende spielte sich direkt vor ihren Augen ab. Aus der Pistole des Attentäters löste sich ein Schuss. Die Kugel traf Bess in den Rücken. Während diese überrascht innehielt und sich an die Brust fasste, drückte Ramis nun auch ab. Sie sah den Mann noch stürzen, bevor sie zu Bess eilte. Bess stand immer noch, allein inmitten des Kampfes. Ihre Gegner lagen ihr zu Füßen. Der Schmerz war inzwischen zu ihr durchgedrungen und sie ging in die Knie. Blut breitete sich rasch um das Einschussloch herum aus. Langsam kippte sie ganz um und lag nun mit dem Gesicht am Boden. Ramis stürzte zu ihr. Verstört berührte sie Bess Schulter und schrie ständig voller Dringlichkeit:
"Bess! Bess, wach auf!"
Ein Arm zuckte leicht.
"Ramis..." , rasselte es dumpf.
Sie lebt! dachte Ramis mit einem dummen Hoffnungsschimmer. Es war wie damals bei Lettice, eine grausame Wiederholung.
Vor Schmerz stöhnend versuchte Bess, sich umzudrehen.
"Hilf mir!" , ächzte sie schwach.
Ramis hob sie hoch und zog sie fort aus dem Kampfgetümmel, an den Rand des Geschehens. Dann drehte sie sie mit zitternden Händen herum und legte Bess Kopf auf ihren Schoß. Die Welt um sie herum war in weite Ferne gerückt. Ramis kümmert sich mehr darum, ob jemand sie erschlug, so wehrlos wie sie war. Da war wieder die Hilflosigkeit, die sie so sehr hasste.
"Ich sterbe... jetzt..." Das Reden bereitete Bess Mühe, aber wie viele um ihren Tod Wissende strengte sie sich noch ein letztes Mal an.
"Nein, du stirbst nicht! Ich bringe dich gleich rüber auf die Fate ...", schrie Ramis, doch ihre Stimme erstarb zum Flüstern. "Du darfst nicht sterben! Du wirst wieder gesund..."
Bess Lippen verzerrten sich in einer unmenschlichen Anstrengung wie zu einem Lächeln.
"Nein, mein Kind... doch es ist der Tod, den ich mir immer gewünscht habe..."
Sanft streichelte Ramis ihr verklebtes Haar. Verzweiflung überwältigte sie.
" Ich sterbe wie eine Kriegerin..." Bess gurgelte erstickt und nahm sich noch einmal heldenhaft zusammen. Ihre Stimme gewann ihre alte Stärke wieder zurück. "Ich will, dass du mein Werk weiterführst! Es ist mir sehr wichtig.... Wirst du das tun?"
Ramis nickte beklommen . Sie hätte Bess alles versprochen.
"Gut ", hauchte Bess. "Du wirst dich nicht unterkriegen lassen... und nun..."
Von einem Moment auf den anderen erschlaffte Bess und ihre Hand, die Ramis Gelenke umklammert hielt, lockerte sich sachte.
"Nein!" , heulte Ramis.
Bess Mund bewegte sich leicht.
"Sag John..." Sie vollendete es nie, nicht einmal im Tod.
Das Licht in ihren Augen erlosch endgültig. Mit einem erstickten Laut schloss Ramis ihr die Lider.
Bess, die starke Wildkatze, die mutig und unerschütterlich dieser Welt getrotzt hatte, war tot.
Sie würde nie mehr unangemessen laut lachen und ihre Männer barsch anbrüllen. Und Ramis hatte sie so viel mehr bedeutet, als der jungen Frau je klar gewesen war. Brennender Hass erfüllte sie, als ein Donnern durch das Schiff ging. Die Fate schoss inzwischen auf das andere Schiff und das begann rasch zu sinken. Ramis packte Bess und zerrte sie mit sich zur Reling. Sie musste noch einige Männer abwehren, aber dann stand sie am Abgrund. Sie klemmte sich Bess zwischen die Beine und schwang sich wieder an einem Seil herüber. Die anderen, die noch auf dem Schiff waren, versuchten ebenfalls, herüberzukommen. Die Piraten standen an der Reling und wehrten die Feinde ab, die angeschwungen kamen. Ramis ließ Bess zu Boden gleiten und half den Piraten. Die Kanonen der Fate krachten immer wieder los. Es gab kein Entrinnen für die andere Mannschaft.
Als das Schiff im Wasser versunken war, setzte man in vollkommenem Schweigen wieder die Segel. Sie entfernten sich von dem Schlachtfeld. Die Männer standen um Bess herum, die inzwischen von weiteren Toten Gesellschaft bekommen hatte. Sie hatten mehrere Leute in diesem Kampf verloren, ein unsagbarer Verlust. Tiefe Betroffenheit stand in allen Gesichtern. Ihre Mützen und Hüte in den Händen erwiesen sie ihr die Ehre. Ramis zog Edward in ihre Arme und vergrub ihr Gesicht in seinem Haar. Er trauerte zwar nicht um Bess, zwischen ihnen war immer eine Feindschaft gewesen, doch er war der einzige, der Ramis trösten konnte. Tatsächlich verstand er nicht, warum Ramis so traurig war.
Ein Tag nach dem Kampf wurden die Toten nach Seemannsart in ein Tuch gewickelt und die Mannschaft hielt eine einfache Trauerzeremonie ab.
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