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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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abgelegt wie einen löchrigen Kittel, der zu schäbig zum Tragen war.
    Ich kann nicht mehr als Kind bei dir leben.
    Dieser Satz verbarg viel mehr, als sie begreifen konnte und das offenbarte ihr noch mehr die Kluft zwischen ihnen, die immer größer wurde, je mehr er sich entfernte. Es gab Bereiche in seinem Herzen, zu denen sie keinen Zutritt hatte, Dinge, die er vor ihr verbarg. Nein, sie hätte es nie für möglich gehalten, sie hatte das Band immer für unzerstörbar gehalten.
    Ich habe mich zu sehr an ihn geklammert , dachte sie plötzlich bestürzt. Ich bin ihm eine Last geworden.
    Sie sprang auf.
    "Wo ist er?" schrie sie William an.
    "Nicht mehr da! Er ist schon heute Nacht gegangen!"
    Ramis rannte los, ohne auf seine Antwort zu achten. Hastig kletterte sie an einer Leiter bis zum Wasser.
    "Mutter! Halt! Sein Schiff ist doch schon weg!"
    Ramis schwamm und watete bis zum Strand. Die paar Leute, die sich so früh am Tage draußen herumtrieben, starrten sie entgeistert an. Mit Algen und Schlick bedeckt glich die Frau in dem weißen Hemd einem dem Meer entstiegenen Wesen. Barfuß rannte sie über die mit Unkraut überwucherten Wege, ohne auf die Dornen und die Steine zu achten, die ihre Füße zerschnitten. Vor der Kneipe, in der sie mit den Kapitänen gesessen hatte, hielt sie an und machte so lange Lärm, bis der Wirt mit einer Nachtmütze auf dem Kopf die Tür öffnete. Er erkannte in der Wilden nicht den Gast von vor ein paar Tagen. Eine Sturzflut von Worten ergoss sich über ihn und sie fragte immerfort nach einem Edward.
    "Meint Ihr den jungen Mann, der sich mit Hornigold unterhalten hat?"
    Er war dem Wirt erstaunlich gut im Gedächtnis geblieben, schon ohne seine merkwürdige Begleitung aus Frauen.
    "Der ist doch heute Morgen mit Hornigold abgesegelt. War in der Nacht noch kurz hier."
    Er konnte immer noch nichts mit ihr anfangen. Jetzt am Morgen waren verrückte Frauen in nassen Hemden, die ihnen am Körper klebten, einfach zu viel. Es war geradezu anstößig um diese Zeit.
    Ramis verharrte eine Weile regungslos. Sie brauchte gar nicht erst die Beschreibung Edwards abwarten. Ohne ein weiteres Wort verließ sie das Gasthaus.
    Sie stolperte zum Strand zurück. Kraftlos ließ sie sich dort in den Sand fallen, sie würde nie mehr zurückschwimmen können. In der Leere ihrer Seele brannte nur noch das Gefühl, verraten worden zu sein. Man hatte ihr etwas geraubt, das sie zum Leben brauchte.
    So musste es sein, wenn man ertrank.
     
    Die Piraten von der Fate fanden sie immer noch am selben Platz, den Kopf auf den Knien, die Arme darum geschlungen. Sie zogen sie hoch und brachten sie zurück zur Fate . Als sie auf dem Schiff waren, schüttelte Ramis sie ärgerlich ab. Sie wollte in Ruhe gelassen werden, niemanden sehen. Als Fanny sie in ihre Kajüte führte und ihre Kleider wechseln wollte, stieß Ramis sie weg.
    "Geh weg! Lasst mich doch endlich in Ruhe! Könnt ihr mich nicht einfach allein sein lassen?"
    Fanny verzog sich eiligst, mit ein wenig gekränktem Gesichtsausdruck. Es war Ramis egal. Fanny hatte Edward nie gemocht, sicher freute sie sich jetzt. Ramis wollte sie nicht sehen. Sie blickte an sich herunter, betrachtete das vom Staub braune Hemd, das inzwischen getrocknet war. Ihre Lippen begannen zu zittern. Wie hatte er sie verlassen können? Kein Grund der Welt könnte dafür ausreichen. Sie zog sich das Amulett vom Hals und schleuderte es von sich. Mit einem leisen Knall krachte es gegen die Wand.
    "Warum?" , schrie sie außer sich. "Warum kennt das Glück keine Beständigkeit? Wieso muss man mir mein Kind entreißen?"
    Sie bemerkte den Jungen gar nicht, der leise ins Zimmer gekommen war und scheu den Ausbruch seiner Mutter verfolgte. Er durchquerte das Zimmer und hob das Amulett auf. Anschließend reichte er es Ramis. Sie wurde still und sah ihn an. Sein Gesicht wirkte ganz verhärmt, auch er litt unter dem Verlust, der ihn auf eine Weise belastete, die ein Kind nie erfahren sollte. Wie egoistisch und töricht sie doch war! Wie konnte sie toben und nach Trost verlangen, obwohl sie doch immer noch die Verantwortung für einen Sohn trug und ihn trösten sollte?
    "Er hat dich über alles geliebt ", sagte William jetzt. "Es war schrecklich für ihn, uns zu verlassen. Er hat es mir gesagt."
    "Aber weshalb ist er dann gegangen?"
    William schwieg, eingedenk des Versprechens. Ramis nahm seine Hand.
    "Ich verstehe das nicht! Fünfzehn Jahre haben wir neben dem anderen gelebt! Wieso kann das nun einfach zu Ende

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